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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Mann, kannte weder seinen Namen noch seine Herkunft. Die einzigen Hinweise, die ihnen bislang vorlagen, lieferten die Gegenstände, die man in seinen Taschen gefunden hatte: ein Munitionsclip, ein Bündel Bargeld und die Schlüssel eines gestohlenen Ford-Minivans, der zwei Blocks von Ingersolls Haus entfernt abgestellt war. Der Mann hatte keinerlei Ausweispapiere dabeigehabt.
    Tam beugte sich über den Tisch und inspizierte mit ungerührter Miene den abgetrennten Kopf. Er zuckte nicht mit der Wimper, als Maura dem Toten die Wollmütze abstreifte, unter der braunes, kurz geschnittenes Haar zum Vorschein kam. Das Gesicht des Mannes war unauffällig – Nase, Mund und Kinn, alles absolut durchschnittlich. Ein Mann, den man im nächsten Moment wieder vergessen hätte, wenn man ihm auf der Straße begegnet wäre.
    Von den Händen waren bereits am Abend zuvor Abstriche sowie Fingerabdrücke genommen worden. Die Fingerkuppen waren noch mit lila Tinte verfärbt. Maura und Yoshima entkleideten gemeinsam den Toten, streiften ihm Sweatshirt und Hose ab, Unterhose und Socken. Der kopflose Körper war untersetzt und muskulös. Ein verheilter Schnitt zog sich diagonal über das rechte Knie – ein Andenken an eine alte Operation. Jane starrte die Narbe an und dachte: Jetzt weiß ich, warum ich ihn gestern Abend so mühelos einholen konnte.
    Maura betrachtete die Einschnitte im weichen Gewebe durch das Vergrößerungsglas und suchte sie nach Unregelmäßigkeiten und Quetschungen ab. »Ich kann keine Spuren eines gezahnten Messers erkennen«, sagte sie. »Die Wunde ist homogen, ohne Sekundärschnitte. Das war ein einzelner Schnitt.«
    »Das habe ich dir doch schon gesagt«, bemerkte Jane. »Es war ein Schwert. Ein einziger Hieb.«
    Maura blickte auf. »Ganz gleich, für wie verlässlich ich einen Zeugen halte, ich muss immer alles nachprüfen.« Sie konzentrierte sich wieder auf die Wunde. »Dieser Schnitt wurde in einem merkwürdigen Winkel geführt. Welche Hand hat das Schwert gehalten, die rechte oder die linke?«
    Jane zögerte. »Den eigentlichen Hieb habe ich nicht gesehen. Aber als er wegging, war es … da war es in seiner rechten Hand.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, warum?«
    »Weil dieser Schnitt rechts unten am Hals ansetzt und schräg nach oben führt.«
    »Und?«
    »Das Opfer ist ungefähr eins achtzig groß. Wenn der Täter von hinten angegriffen hat und den Hieb von rechts nach links führte, dann war er wahrscheinlich kleiner.« Maura sah Jane an. »Kannst du das bestätigen?«
    »Ich lag auf dem Rücken. Aus der Perspektive sieht jeder groß aus, vor allem, wenn er so ein Riesenteil von Schwert in der Hand hält.« Sie atmete durch, und ihr wurde plötzlich bewusst, dass Maura sie mit diesem forschenden Blick ansah, der sie so nervös machte. Es war ein Blick, der in ihre Privatsphäre eindrang und ihr das Gefühl gab, ein in Formalin konserviertes Präparat zu sein.
    Abrupt wandte Jane sich vom Tisch ab. »Ich glaube, den Rest kann ich mir sparen. Was soll uns diese Obduktion noch groß verraten? Überraschung – jemand hat ihm den Kopf abgehauen?« Sie warf ihren Kittel in den Korb für kontaminierte Wäsche. »Macht ihr hier weiter, ich frage inzwischen im Labor nach, ob sie bei Ingersolls Handy irgendetwas herausgefunden haben.«
    Da schwang plötzlich die Tür zum Vorraum auf, und Jane staunte nicht schlecht, als sie ihren Mann den Sektionssaal betreten sah.
    Special Agent Gabriel Dean war schon öfter bei Obduktionen zugegen gewesen. Jane hatte ihren Mann bei den Ermittlungen zu einer Mordserie kennengelernt, und damals hatten sie so manche Stunde zusammen hier verbracht, über übel riechende Leichen in unterschiedlichen Stadien der Verwesung gebeugt. Gabriel trug bereits Kittel und Überschuhe, als er nun mit ernster, konzentrierter Miene auf den Tisch zutrat und sich dabei Handschuhe überstreifte.
    »Ist das der Mann vom Ingersoll-Tatort?«, fragte er ohne Umschweife. »Der, der dich fast umgebracht hätte?«
    »Danke, und wie geht’s dir, Schatz?«, erwiderte Jane. Sie sah Tam an. »Falls Sie sich fragen, wer dieser ungebetene Gast ist – das ist mein Mann Gabriel. Und ich habe keine Ahnung, warum er hier ist.«
    Gabriel wandte den Blick nicht von der Leiche. »Was wissen wir bis jetzt über ihn?«
    »Wir? Seit wann gehörst du zum Team?«, fragte Jane.
    »Seit dieser Mann auf dich geschossen hat.«
    »Gabriel …« Sie seufzte. »Darüber können wir später reden.«
    »Die Zeit, darüber zu reden, ist

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