Grabesstille
wurde der Koch gefunden.«
»Dann werden wir da also noch mehr Blut finden. Welche Überraschung.« Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Hören Sie, wenn Sie meinen, dass Sie hier nur Ihre Zeit vergeuden, dann geben Sie mir doch einfach die Flasche, und ich mach’s selbst«, fuhr Maura ihn an.
In der plötzlichen Stille wechselten die beiden Kriminaltechniker einen Blick. Ed sagte: »Wollen Sie uns vielleicht sagen, wonach Sie genau suchen, Dr. Isles? Damit wir’s auch kapieren.«
»Ich werde es Ihnen sagen, wenn ich es sehe. Fangen wir mit der Tür an, die in den Speisesaal führt.«
Ed nickte Frost zu. »Licht aus.«
Die plötzliche Schwärze war so vollkommen, dass Maura spürte, wie sie leicht ins Schwanken geriet, so jäh aller visuellen Orientierung beraubt, ohne jedes Gefühl dafür, wer oder was sich in ihrer Nähe befand. In dieser Dunkelheit hätte weiß Gott wer neben ihr stehen können, ohne dass sie seine Anwesenheit bemerkt hätte. Die Sprühflasche zischte, und als die leuchtend blauen Streifen sich wie durch Zauberei auf dem Boden ausbreiteten, spürte sie erneut ein Frösteln auf der Haut, als sei ein Phantom an ihr vorübergeglitten. Ja, in diesem Raum sind tatsächlich Geister, dachte sie; die Geister des vergossenen Bluts, die immer noch an diesem Boden haften. Sie hörte das Zischen eines weiteren Luminolstoßes, und weitere Stellen leuchteten hell auf.
»Ich sehe hier Fußabdrücke«, sagte Ed. »Vielleicht von einem Damenschuh, Größe 36 oder 37.«
»Die sind auch auf den Tatortfotos zu sehen«, sagte Tam. »Die Frau des Kochs war die Erste, die den Tatort betrat. Sie wohnte direkt über dem Restaurant. Als sie den Schuss hörte, kam sie durch die Hintertür herein und fand ihren Mann. Sein Blut klebte an ihren Schuhsohlen, als sie in den Speisesaal ging und die anderen Opfer fand.«
»Tja, genau so sieht das hier auch aus. Schuhabdrücke, die in Richtung Speisesaal führen.«
»Der Koch lag genau hier, wo ich jetzt stehe«, sagte Maura. »Wir sollten uns auf diese Stelle konzentrieren.«
»Immer schön eins nach dem anderen, Doc«, sagte der Kriminaltechniker, und Maura konnte hören, dass er verärgert war. »Wir kommen schon noch dazu.«
»Ich habe diesen Abschnitt im Kasten«, meldete sein Kollege.
»Okay, gehen wir weiter.«
Maura hörte wieder die Sprühflasche zischen, und neue Fußabdrücke tauchten auf, ein leuchtendes Protokoll der Bewegungen der Frau an jenem Abend. Sie folgten den Spuren rückwärts, bis plötzlich ein großer, heller Fleck aufschien. Hier war die Stelle, wo sich das Blut aus Wu Weimins Kopfwunde gesammelt hatte. Maura hatte den Obduktionsbericht gelesen, sie hatte die Nahaufnahme der Wunde gesehen – äußerlich betrachtet nur ein kleines, durch Haut und Knochen gestanztes Loch, das über die massiven Zerstörungen des Gehirns hinwegtäuschte. Und doch hatte sein Herz noch einige Sekunden lang das Blut aus der Wunde gepumpt, bis sich diese riesige Lache um seinen Kopf herum gebildet hatte. Hier hatte seine Frau neben ihm gekniet, hier hatte sie ihren Schuhabdruck hinterlassen. Sein Körper muss noch warm gewesen sein.
»Licht an.«
Maura blinzelte und starrte auf den Boden, wo jetzt scheinbar nur noch nackter Beton war. Doch während Ed die Flasche wieder mit Luminol auffüllte, konnte sie immer noch diese Lache sehen und die Fußspuren, die die Frau hinterlassen hatte.
»Da drüben noch, und dann sind wir fertig«, sagte Ed und wies auf den Hinterausgang. »Hat die Frau die Küche auf demselben Weg verlassen, wie sie hereingekommen ist?«
»Nein«, antwortete Tam. »Laut Ingersolls Bericht ist sie zum Vorderausgang hinausgerannt und die Knapp Street entlang zur Beach Street gelaufen, um Hilfe zu holen.«
»An diesem Ende dürfte es also kein Blut geben.«
Tam warf einen Blick auf seinen Laptop. »Auf dem Tatortfoto kann ich jedenfalls keins sehen.«
Maura registrierte, wie Ed auf seine Uhr sah. Ja, es wurde allmählich spät, und was sie bisher auf Video festgehalten hatten, war genau das, was sie erwartet hatten. Sie dachte daran, was diese beiden Männer später über sie sagen würden – Bemerkungen, die sicherlich im ganzen Boston PD die Runde machen würden. Dr. Isles hat uns diesen alten Tatort beackern lassen für nichts und wieder nichts.
War das Ganze ein Fehler?, fragte sie sich. Habe ich allen hier den Feierabend verdorben, nur weil ich auf die Zweifel eines sechzehnjährigen Jungen gehört habe? Aber sie
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