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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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herüber und grinste. Ich lächelte zurück und ergötzte mich an dem Wissen, dass er jedes Mal, wenn er mit diesem Blick zu mir hersah, genau wie ich eine Nase voll abbekommen haben musste.
    Flash nahm die Vorgänge weiter auf Video auf und machte auf Bens oder Davids Aufforderung hin Einzelaufnahmen. Ben und David besaßen eine zweite Kamera und schossen ihrerseits Fotos.
    »Warum fotografieren Sie die Ränder des Grabs?«, fragte ich Ben.
    Er zögerte und antwortete dann: »Eventuelle Werkzeugspuren.«
    »Von der Schaufel, mit der das Grab ausgehoben wurde?«
    »Vielleicht.«
    »Wenn Sie wissen, wer es getan hat, warum müssen Sie dann Beweise sammeln?«, wollte ich wissen.
    »Wir wissen nicht unbedingt, wer dieses Grab geschaufelt hat«, erwiderte er. »Wir müssen diese Stelle genauso behandeln, wie wir es bei jeder anderen machen würden. Objektiv.«
    »Aber Parrish hat gestanden –«
    »Geständnisse kann man widerrufen. Urteile werden revidiert. Abmachungen zerbrechen, Ms. Kelly. Wir wissen nie, was wir womöglich eines Tages beweisen müssen oder welche Beweismittel wichtig werden könnten. Deshalb arbeiten wir sorgfältig.« Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Die Regeln der Beweisführung sind in Gerichtssälen wesentlich strenger als in Redaktionsräumen.«
    Ich wandte mich ab, damit er nicht sah, wie ich die Zähne zusammenbiss.
    Nachdem die ersten Schichten Erde entfernt waren, kam eine Lage großer Steine zum Vorschein, die über der Grube verstreut lagen. Als Thompson sich nach ihrem Zweck erkundigte, erklärte Ben, ohne seine Arbeit zu unterbrechen: »Ich vermute, dass sie Raubtiere davon abhalten sollten, sich über das Grab herzumachen.«
    »Kojoten?«
    Sheridan sah auf. »Ja, wir wissen doch, dass er an Kojoten gedacht hat.«
    Nachdem die Steine entfernt worden waren, begann erneut der langsame Prozess des Abschabens. David arbeitete gerade an dem Stück in der Mitte des Grabs, als er unvermittelt innehielt: »Moment mal.«
    Ben und Andy unterbrachen ihre momentane Tätigkeit und begannen sich auf die Stelle zu konzentrieren, an der David Erdreich abgetragen hatte. Sie traten ein Stückchen zurück und winkten Flash herbei, damit er ein paar Fotos machte. Kurz darauf riefen sie Thompson.
    Ich stand auf und trat ein bisschen näher heran.
    Der Gegenstand all dieser Aufmerksamkeit war ein Zipfel dunkelgrünes Plastik. Schon bald begriffen wir alle, was die forensischen Anthropologen bereits vermuteten.
    Dies war ein Leichentuch.
     

9
     
    MITTWOCH MORGEN, 17. MAI
    Las Piernas
     
    Frank Harriman legte den Telefonhörer auf und wandte sich an den Cousin seiner Frau. »Der Anwalt ist zurück – er liegt im Krankenhaus.« Er holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Dank seinem Klienten.«
    »Was ist denn passiert?«, fragte Travis.
    »Parrish ist Newly auf den Fuß gestampft. Hat mehrfache Brüche verursacht. Es war ganz schön mühsam, Newly von dort oben runter zu kriegen – er hat vor Schmerzen ein paar Mal das Bewusstsein verloren.«
    »Irene fehlt schon nichts«, sagte Travis, der wusste, was Frank Kopfzerbrechen bereitete, und der einen Refrain wiederholte, der ermüdend hätte sein können, wenn Frank ihn nicht immer wieder hätte hören müssen.
    »Sämtliche Wachleute standen direkt dabei«, ereiferte sich Frank. »Um ihn zu bewachen! Und trotzdem schafft er es, seinen eigenen Anwalt zu verletzen.« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. »Sie hätte nicht da raufgehen sollen.«
    »Du hättest sie nicht aufhalten können.«
    »Sie hätte nicht gehen sollen«, wiederholte Frank, der nun auf und ab marschierte.
    »Frank«, sagte Travis.
    Doch Frank war in unangenehme Erinnerungen vertieft. Er dachte an den Tag, als sie Kara Lanes Leiche gefunden hatten, und was ihr zugefügt worden war. Seine Schritte kamen zum Stillstand, als er – nur ganz kurz, aber viel, viel zu lang – an die Möglichkeit dachte, dass seine Frau Parrish ausgeliefert wäre und ebenso viel Schmerz, ebenso viel Angst und ebensolche Einsamkeit erleiden müsste wie Kara Lane in ihren letzten Stunden. Er merkte, wie sich sein Magen zusammenzog.
    »Frank«, sagte Travis noch einmal.
    Er sah auf.
    »Sie hat immer noch eine Menge anderer Leute um sich. Du weißt, dass sie ihn eher umbringen würden, bevor sie zulassen, dass er ihr etwas antut.«
    Frank gab keine Antwort. Wie konnte er diese düstere Vorahnung erklären? Er wusste, dass es mehr war als schlichte Besorgnis um ihr Wohlergehen. Es war die Art von

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