Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
Vom Netzwerk:
vergaß ich den Geruch des Todes um mich herum, vergaß die Tatsache, dass ich gerade mit angesehen hatte, wie sieben brave Männer gnadenlos abgeschlachtet worden waren, vergaß den Regen – und zwang mich, mich auf das Dringendste zuerst zu konzentrieren.
    Die Erste-Hilfe-Kurse fielen mir wieder ein.
    Ich legte meine Wange dicht an seinen Mund. Ich spürte seinen Atem. Ein Trost nach dem anderen. Er atmete, er hatte einen Puls.
    Ich rief mehrmals seinen Namen. Er reagierte nicht. Bingle bellte ihn an. Er stöhnte – matt, leise. Ich wartete. Nichts. Ich wies Bingle an, sich hinzusetzen. Der Hund gehorchte. Ben regte sich, fast als dächte er, der Befehl hätte ihm gegolten. Da fiel mir etwas ein, was mir der Leiter eines Erste-Hilfe-Kurses einmal gesagt hatte – dass Bewusstsein nicht wie mit einem EIN/AUS-Schalter funktioniert. Ein Bewusstloser reagiert eventuell auf Schmerz oder Befehle. Also versuchte ich es noch einmal.
    »Ben, machen Sie die Augen auf!«
    Nichts.
    Mach weiter, schärfte ich mir selbst ein. Untersuch ihn nach Blutungen. Die Wunde an seinem Kopf blutete nicht mehr. Es schien keine tiefe Schramme zu sein, aber darunter saß eine dicke Beule. Die andere offen sichtbare Wunde war die an seinem Bein.
    Auf einmal fiel mir ein Vorfall ein, bei dem ich Pete, den Partner meines Mannes, hektisch darum hatte ringen sehen, eine Blutung am Kopf eines Opfers zu stillen, nur um später festzustellen, dass die Lungen der Verletzten sich mit Blut gefüllt hatten – eine Kugel hatte ihr eine wesentlich unscheinbarere Wunde im Rücken zugefügt.
    Ich suchte Ben so gut es ging nach weniger offenkundigen Verletzungen ab. Ich konnte keine entdecken, fand jedoch ein Paar unbenutzte Latex-Handschuhe in einer seiner Hemdtaschen. Ich zog sie an, holte erneut mein Messer heraus und schnitt das Hosenbein ab.
    Unter anderen Umständen hätte mich die Verletzung an seinem linken Unterschenkel womöglich entsetzt. Nach allem, was ich erst vor wenigen Minuten gesehen hatte, besaß sie jedoch nicht mehr die Macht, mich zu schockieren. Das Bein war glatt durchschossen worden. Der Schuss war seitlich eingedrungen, an der vorderen Innenseite seines Beins zwischen Knie und Knöchel, und an der anderen – der zerstörteren Seite – wieder ausgetreten. Der Schuss hatte offenbar mindestens einen der unteren Beinknochen gebrochen. Die Wunde hatte heftig geblutet – zumindest schien es meinem unerfahrenen Auge eine Menge Blut zu sein, doch inzwischen blutete sie kaum noch.
    Die wenigen Erste-Hilfe-Artikel, die ich in meinem kleinen Rucksack hatte, waren nicht dazu gedacht, Opfer von Schussverletzungen zu behandeln, doch ich fand genug sauberen Verbandsstoff und Klebeband, um einen Druckverband für die Beinwunde zu machen.
    Ben stöhnte. Ich beugte mich näher zu seinem Gesicht hinab und rief erneut seinen Namen. Sag oft den Namen des Verletzten – ich erinnerte mich daran, dass dies eine der Regeln war. Er schlug die Augen auf und starrte zu mir herauf.
    »Ben? Können Sie mich verstehen?«
    Er schloss die Augen.
    »Ben!«
    Er sah zu mir auf. Bingle bellte. Ben drehte langsam den Kopf zu dem Hund, keuchte und schloss erneut die Augen. »Regnet«, sagte er schwerfällig. Es war kaum mehr als ein Flüstern.
    »Nein«, sagte ich. »Es hat geregnet, aber jetzt hat es aufgehört.«
    Er reagierte nicht.
    »Ben! Ben!«
    »Gehen Sie weg.«
    »Ben! Wachen Sie auf!«
    Keine Reaktion.
    »Ben Sheridan, hören Sie mir zu: Ich will nicht erschossen werden, weil ich mit Ihnen hier draußen bin. Also wachen Sie auf!«
    Nichts.
    »Bingle braucht Sie, klar? Was würde David sagen, wenn er wüsste, dass Sie sich nicht um seinen Hund kümmern?«
    »David«, sagte er unglücklich, schlug aber die Augen auf.
    »Sind Sie außer am Kopf und am Bein noch irgendwo verletzt?«
    Er runzelte die Stirn. »Weiß nicht. Kann nicht denken.« Er hob den Kopf und versuchte sich zu bewegen. »Schwindlig«, sagte er und schloss die Augen wieder.
    »Tut Ihnen der Nacken weh oder der Rücken?«
    »Nein – mein Kopf. Mein Bein – gebrochen, glaub ich.«
    Ich ergriff seine rechte Hand. »Drücken Sie meine Hand.«
    Er tat es. Schwach, aber ein Händedruck. Ich versuchte das Gleiche mit der Linken.
    »Den ersten Test haben Sie mit Bravour bestanden.« Ich kroch zu seinen Stiefeln. »Versuchen Sie den rechten Fuß zu bewegen, Ben.«
    Er bewegte ihn.
    »Und den linken.«
    Nichts, doch der Versuch ließ ihn aufschreien.
    »Kann nicht«, flüsterte er. »Kann

Weitere Kostenlose Bücher