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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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versuchte zu hüpfen. Er stieß einen Schmerzensschrei aus und verlor erneut das Bewusstsein. Ich schaffte es kaum, ihn abzusetzen, ohne ihn fallen zu lassen.
    Keine Panik, sagte ich mir, doch ich malte mir aus, wie Parrish das Gewehr auf mich anlegte, während ich die Plane ausbreitete. Konnte er mich auf diese Entfernung treffen? Ich glaubte es nicht, duckte mich aber trotzdem tiefer in das hohe Gras.
    Ben kam wieder zu sich, und obwohl sein Wachzustand hilfreich war, als ich ihn auf die Plane hievte, wünschte ich im Wissen darum, was bevorstand, er wäre bewusstlos geblieben.
    Ich hob die Ecke der Plane neben seinem Kopf an und begann, ihn über den unebenen Boden zu ziehen.
    »Bingle«, rief er und machte eine matte Geste mit der Hand.
    Der Hund zögerte, blickte zu Davids Stiefel zurück und folgte uns schließlich.
    Ich erhob mich und gab der Schnelligkeit zuliebe beklommen die Deckung auf, doch es ging trotzdem nur langsam voran. Ben protestierte zwar nicht, verzog aber vor Schmerz das Gesicht. Als wir bei den Bäumen anlangten, hatten Tränen durch den Schmutz und die Blutflecken Streifen auf sein Gesicht gezeichnet. Ich machte Halt, und er wischte sich verlegen die Tränen ab.
    Doch in Gedanken war ich woanders. Während ich vor Anstrengung keuchte, sah ich zu der Hügelkette hinauf.
    Wo bist du, Parrish?
    War er zurückgekommen? Womöglich hielt er sich ja direkt vor uns in den Bäumen versteckt und wartete nur darauf, uns anzugreifen. Ich lauschte und hörte hundert Geräusche, die von ihm hätten stammen können. Ich blickte zur Wiese zurück. Das war keine Alternative.
    Etwas schlug neben mir auf der Erde auf, und ich sprang mit einem Schrei zur Seite. Ich machte bereits Anstalten, Ben zu decken, als er sagte: »Kiefernzapfen. Kam vom Baum.«
    »Oh. Ich dachte, es wäre womöglich –«
    »Achten Sie auf Bingle«, stieß er hervor und schloss vor einem neuen Aufwallen der Schmerzen die Augen.
    Ich musterte den Hund. Er betrachtete mich ruhig. Da wurde mir klar, was Ben meinte. Parrish war nicht in der Nähe. Bingle hätte reagiert.
    Ich zog Ben so weit es ging in den Wald, bis schließlich zu viele Hindernisse im Weg standen, als dass ich ihn hätte weiter befördern können. Dann hievte ich ihn wieder auf die Beine. Ich stellte mich vor ihn, nahm seine Arme und legte sie mir über die Schultern; dann lehnte ich ihn gegen meinen Rücken und manövrierte ihn halb tragend, halb zerrend durch den Wald. Ich bin nicht schlecht in Form, aber ihn zu tragen war mühsam und anstrengend. Der Waldboden war zu uneben, um ein ungehindertes Fortkommen zu ermöglichen. Trotz Bens Bemühungen, seine Qualen zu verbergen, schrie er immer wieder schrill auf. Bingle begann vor Mitgefühl zu winseln.
    Als wir in Gelände mit weniger Steinen, Büschen und tief hängenden Ästen kamen, setzte ich Ben ab. Er war wieder bewusstlos geworden. Ich gönnte mir ein paar Minuten, um zu verschnaufen. Dann faltete ich erneut die Plane auseinander, legte Ben darauf und zog ihn tiefer in den Wald.
    Wir gelangten zum Bach. Ich befahl Bingle, bei Fuß zu bleiben – das Wasser war so tief, dass ich fürchtete, er werde es nicht schwimmend zurück ans Ufer schaffen, falls er hineinfiel. Ich ging mich umsehen und entdeckte eine relativ schmale Stelle, um den Bach zu überqueren. Es war völlig undenkbar, dass ich es geschafft hätte, Ben hinter mir herzuziehen, also schnitt ich die Plane entzwei und befestigte sie um seine Beine, indem ich sie wie eine bizarre Abart von Wasserstiefeln mit Isolierband festklebte, damit er trocken blieb, falls ich stürzte. Es gelang mir, ihn lange genug wach zu bekommen, dass ich ihn mir wieder an den Rücken lehnen konnte. Langsam und vorsichtig trat ich von einem flachen Felsen zum nächsten. Nur einmal verlor ich kurz die Balance, trat versehentlich in kaltes, knietiefes Wasser in der Bachmitte und hätte Ben beinahe verloren.
    Wir schafften es ans andere Ufer. Ich hatte Ben allerdings massiv durchgeschüttelt, und als ich ihn drüben unter den Bäumen ablegte, war er wieder bewusstlos geworden. Das ganze Unterfangen hatte uns Stunden gekostet, und ich fragte mich, wie viel Blut er wohl verloren hatte. Ich drehte ihn auf die Seite, in eine Stellung, in der er sicher atmen konnte und nicht an seinem eigenen Erbrochenen ersticken würde, falls er sich noch einmal übergeben musste. Ich schnitt die Pseudo-Wasserstiefel entzwei und stellte erfreut fest, dass zumindest einer von uns weitgehend trocken geblieben

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