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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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Gelenk protestierten. Ich bewegte mich trotzdem. Nicht schnell, nicht gleichmäßig, aber ich bewegte mich und wankte vom Bachufer weg. Ich wollte imstande sein, Parrish zu hören, wenn er sich näherte.
    Aber ich hatte so wenig Energie, dass ich nicht sehr weit kam. Ich stieß auf eine Felsgruppe unter ein paar Bäumen am Bach, ganz ähnlich der Stelle, wo Ben versteckt war. Ich hatte Parrish nun schon geraume Zeit nicht mehr gehört, und der Gedanke an Ben ließ mich überlegen, ob Parrish sich nun auf die Jagd nach Bingle gemacht hatte und womöglich auch Ben fand. Selbst wenn Parrish nicht nach ihm suchte, wie lang konnte er verborgen zwischen den Felsen überleben? Würde ihn irgendjemand finden können, falls mir etwas zustieß?
    Etwas brach durch die Bäume zu meiner Linken. Mit pochendem Herzen machte ich den ungeschickten Versuch, mich danach umzuwenden.
    Ein Reh.
    Kurz darauf glaubte ich erneut das Geräusch eines Hubschraubers zu hören, doch es war immer noch neblig – falls einer über mir hinwegflog, so sah ich ihn nicht. Ich schärfte mir ein, dass ich ruhig bleiben musste und J. C. bestimmt imstande wäre, sobald sich der Nebel gelichtet hätte, die Crew zu unserer Wiese zu leiten.
    Aber was sollte Parrish daran hindern, einfach auf die Hubschrauber-Besatzung zu schießen?
    Aus der Luft konnten sie ja vielleicht das Grab und die Leichen auf der Wiese erkennen. Dieser Anblick würde sie zur Vorsicht bewegen.
    Ich flehte darum, dass sie vorsichtig wären.
    Ich wartete.
    Ich merkte, wie ich ruckartig aufwachte, und die Erkenntnis, dass ich eingeschlafen war, beängstigte mich. Ich musste auf der Hut sein, aber einen Moment lang war ich derart durcheinander, dass ich nicht mehr wusste, warum. Ich war aus einem Traum von Schüssen aufgewacht, in dem Frank meinen Namen rief. Ich lauschte und hörte nichts außer dem Bach und den Vögeln, die sich von einem Baum zum anderen zuzwitscherten.
    Ich konzentrierte mich auf meine unmittelbaren Probleme.
    Wenn Nick Parrish wieder in die Nähe kam und ich davonrennen musste, konnte ich es mir nicht leisten, ausgetrocknet zu sein. Ich stand auf, streckte meine schmerzenden Muskeln, trank das Wasser, das ich gefiltert hatte, und machte mich auf den kurzen, mir jedoch endlos erscheinenden Weg zurück zum Bach, um Wasser nachzufüllen.
    Essen wäre auch nützlich. Ich fand ein paar essbare Schösslinge am Bach. Bei den meisten anderen Pflanzen war ich mir nicht sicher, und auch wenn ich das Risiko einer Darminfektion eingegangen war, so hatte ich nicht vor, mich im Handstreich selbst umzubringen. Es ist wesentlich leichter, sich mit Flora zu vergiften als mit Fauna.
    Ich stolperte zu meinem Versteck zurück, außerstande, mich auch nur einigermaßen gezielt zu bewegen.
    Ich hatte immer noch mein Messer.
    Kaum war mir das wieder eingefallen, als sich ein anderer Gedanke dazwischendrängte: Warum hatte ich das Messer eigentlich noch?
    Warum hatte mir Parrish eine Waffe gelassen, wenn sie auch noch so klein war? Warum hatte er mir die Wasserflasche, den Filter und den sonstigen Inhalt meines kleinen Rucksacks gelassen?
    Vielleicht rechnete er damit, dass ich nicht mehr dazu käme, die Sachen zu benutzen. Vielleicht wünschte er sich aber auch eine größere Herausforderung.
    Warum hatte er mich wegrennen lassen? Ich lief ziellos durch die Gegend und war ihm dennoch entkommen. Oder hatte er mir erlaubt, ihm zu entkommen?
    Er hatte einen Baum gefällt, was ihm einige Energie geraubt haben könnte. Und er hatte eine Verletzung an der Schulter – vielleicht hatte sie wieder zu bluten begonnen, als er mir nachsetzte.
    Andererseits hatte er gegessen, und er hatte wahrscheinlich geschlafen. Er hatte niemanden durch die Gegend schleppen müssen, und er hatte die Nacht nicht damit verbracht, sich um einen Schwerverletzten zu kümmern. Er hatte keine Angst. Er war nicht beinahe im Schlamm erstickt worden.
    Ich wog diese Faktoren gegeneinander ab, außerstande zu ergründen, ob er mir gestattet hatte, ihm zu entkommen, oder ob ich ihn – zumindest vorübergehend – geschlagen hatte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto verwirrter wurde ich. Ich schien unfähig zu sein, länger bei einem Gedankengang zu verweilen. Ein Einfall trieb am nächsten vorüber, und ich ertappte mich dabei, wie ich mit leerem Blick vor mich hinstarrte oder ruckartig den Kopf hob, bevor ich erneut eingenickt wäre.
    Ich versuchte mich daran zu erinnern, in welcher Verfassung er gewesen war, kurz bevor ich

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