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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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doch die Waffe hätte abnehmen sollen.
     
    Das unablässige Pingping des tropfenden Wassers dröhnte in ihrem schmerzenden Schädel wie Hammerschläge. Josephine stöhnte, und ihre Stimme schien in einer weitläufigen Höhle widerzuhallen, in der es nach Schimmel und feuchter Erde roch. Als sie die Augen aufschlug, war die Schwärze, in die sie starrte, so dicht, dass sie fast meinte, sie fühlen zu müssen, wenn sie den Arm ausstreckte. Auch wenn sie sich die Hand direkt vors Gesicht hielt, konnte sie nicht die leiseste Bewegung ausmachen, nicht einmal eine schemenhafte Silhouette.
    Allein die angestrengten Bemühungen, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, ließen ihren Magen rebellieren.
    Sie kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an und drehte sich mit geschlossenen Augen auf die Seite, spürte feuchten Stoff unter ihrer Wange. Mühsam versuchte sie sich zusammenzureimen, wo sie war. Nach und nach registrierte sie einzelne Details. Das tropfende Wasser. Die Kälte. Eine Matratze, die nach Schimmel roch.
    Warum kann ich mich nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin?
    Das Letzte, was sie wahrgenommen hatte, bevor sie das Bewusstsein verlor, war der alarmierte Klang von Simon Crispins Stimme, seine Rufe im dunklen Keller des Museums. Aber das war eine andere Dunkelheit gewesen als diese hier.
    Wieder riss sie die Augen auf, und diesmal war es nicht Übelkeit, sondern Angst, die ihr den Magen umdrehte. Sie setzte sich auf und ignorierte das Schwindelgefühl, das sie sofort befiel. Sie konnte ihren eigenen Herzschlag hören, das Rauschen des Bluts in ihren Ohren. Als sie die Hand über den Rand der Matratze hinausstreckte, tastete sie einen eiskalten Betonboden.
    Sie schwenkte den Arm im Halbkreis und stieß auf einen Krug mit Wasser, den jemand in Reichweite abgestellt hatte. Dann einen Abfalleimer. Und schließlich etwas weiches, eingehüllt in knisternde Plastikfolie. Sie drückte es zusammen, und der Hefeduft von frischem Brot stieg ihr in die Nase.
    Immer weiter erkundete sie ihre Umgebung, und die Grenzen ihres dunklen Reichs weiteten sich aus, als sie sich nach und nach über die sichere Insel ihrer Matratze hinauswagte. Auf Händen und Knien kroch sie und schleifte ihr Gipsbein über den Betonfußboden nach. Nachdem sie ihre Matratze in der Dunkelheit hinter sich gelassen hatte, bekam sie plötzlich panische Angst, dass sie sie nicht wiederfinden würde, dass sie ewig hier auf dem kalten Boden umherirren würde auf der Suche nach diesem erbärmlichen bisschen Komfort. Aber so groß war diese Wildnis nun doch nicht – sie war erst ein kurzes Stück gekrochen, als sie auf eine raue Betonwand stieß.
    Sie stützte sich daran ab und zog sich hoch. Von der ungewohnten Anstrengung wurde ihr schwindlig, und sie lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, bis ihr Kopf wieder klar war. Jetzt registrierte sie allmählich andere Geräusche. Das Zirpen von Insekten. Das Trippeln unsichtbarer Füße, die über den Boden huschten. Und dazu das unablässige Tropfen des Wassers.
    Sie humpelte an der Wand entlang und erkundete die Grenzen ihres Gefängnisses. Nach ein paar Schritten hatte sie die erste Ecke erreicht, und sie empfand es als irgendwie tröstlich, dass diese Finsternis nicht endlos war, dass sie bei ihrem blinden Umherirren nicht irgendwann über den Rand des Universums ins Nichts fallen würde. Sie schleppte sich weiter und strich mit der Hand an der Wand entlang. Nach einem Dutzend Schritten hatte sie die nächste Ecke erreicht.
    Langsam nahm der Raum, in dem sie gefangen war, in ihrem Kopf Gestalt an.
    Sie arbeitete sich an der dritten Wand entlang, bis sie wieder eine Ecke erreichte. Zwölf mal acht Schritte, dachte sie. Ungefähr zehn mal sechs Meter. Wände und Boden aus Beton. Ein Keller.
    Sie begann, die nächste Wand abzuschreiten, und stieß mit dem Fuß an ein Hindernis, das ein Stück über den Boden schlitterte. Sie bückte sich, und ihre Finger schlossen sich um den Gegenstand. Sie tastete gewölbtes Leder, einen spitzen Absatz und Unebenheiten, die sich wie Strassbesatz anfühlten.
    Ein Damenschuh.
    Ich bin nicht die erste Gefangene in diesem Verlies, dachte sie. Eine andere Frau hat auf dieser Matratze gelegen und aus diesem Wasserkrug getrunken. Sie hielt den Schuh fest in bei den Händen, erforschte mit den Fingern jede Kontur, begierig nach Hinweisen auf seine Besitzerin. Meine Schwester in der Verzweiflung. Es war ein kleiner Schuh, schätzungsweise Größe 36, und der Strassbesatz

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