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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ließ vermuten, dass es sich um einen Partyschuh handelte, den man zu einem schicken Abendkleid und Ohrringen trug, zu einem Rendezvous mit einem ganz besonderen Mann.
    Oder dem falschen Mann.
    Plötzlich zitterte sie am ganzen Leib – vor Kälte, aber auch vor Verzweiflung. Sie drückte den Schuh an ihre Brust. Den Schuh einer toten Frau; daran hegte sie keinen Zweifel. Wie viele andere hatte er vor ihr hier gefangen gehalten?
     
    Wie viele würden noch nach ihr kommen? Sie schöpfte stockend Atem und glaubte die Angst und die Verzweiflung jeder einzelnen Frau riechen zu können, die in dieser Finsternis gezittert hatte, einer Finsternis, die alle ihre anderen Sinne geschärft hatte.
    Sie hörte das Blut, das durch ihre Adern kreiste, und spürte die kalte Luft, die in ihre Lunge strömte. Und sie roch das feuchte Leder des Schuhs, den sie in den Händen hielt. Wenn man sein Augenlicht einbüßt, dachte sie, dann registriert man plötzlich all die unsichtbaren Details, die einem sonst entgangen wären, so wie man auch den Mond erst dann richtig wahrnimmt, wenn die Sonne untergegangen ist.
    Sie umklammerte den Schuh wie einen Talisman und zwang sich, den Rundgang durch ihr Gefängnis fortzusetzen. Sie fragte sich, ob in der Dunkelheit noch weitere Hinweise auf frühere Gefangene verborgen waren. Vor ihrem inneren Auge sah sie den Boden übersät mit den verstreuten Habseligkeiten toter Frauen. Hier eine Armbanduhr, dort ein Lippenstift. Und was wird man eines Tages von mir finden?, fragte sie sich. Wird irgendeine Spur von mir zurückbleiben, oder werde ich nur eine in einer Reihe verschwundener Frauen sein, deren letzte Stunden für immer im Dunkeln bleiben werden?
    Die Betonwand machte plötzlich einen Knick, und dahinter tastete sie Holz. Sie blieb stehen.
    Ich habe die Tür gefunden.
    Obwohl der Knauf sich leicht drehen ließ, konnte sie die Tür keinen Millimeter bewegen; sie war auf der anderen Seite verriegelt. Josephine schrie und hämmerte mit den Fäusten dagegen, doch das Holz war massiv, und mit ihren kümmerlichen Anstrengungen erreichte sie nur, dass sie sich die Hände zerschrammte. Erschöpft ließ sie sich gegen die Tür sinken, und plötzlich nahm sie neben dem Pochen ihres eigenen Herzens noch ein anderes Geräusch wahr ein Geräusch, das sie vor Angst stocksteif verharren ließ.
    Das Knurren war tief und bedrohlich, und sie konnte es in der Dunkelheit nicht lokalisieren. Sie sah schon die scharfen Zähne und Klauen vor sich, stellte sich vor, wie die Kreatur sich lautlos anschlich, um sich im nächsten Moment auf sie zu stürzen.
    Dann hörte sie eine Kette rasseln und dazu ein scharrendes Geräusch, das von irgendwo über ihr kam.
    Sie blickte auf. Zum ersten Mal sah sie einen schmalen Streifen Licht, so schwach, dass sie im ersten Moment ihren eigenen Augen nicht traute. Doch während sie hinsah, wurde der Spalt ganz allmählich heller. Es war das erste Licht der Morgendämmerung, das durch eine winzige, mit Brettern vernagelte Lüftungsöffnung fiel.
    Sie hörte, wie die Krallen des Hundes am Holz scharrten, als er in ihr Verlies einzudringen versuchte. Nach seinem Knurren zu urteilen war es ein großes Tier. Ich weiß, dass er da draußen ist, und er weiß, dass ich hier drin bin, dachte sie. Sie hatte nie einen Hund gehabt, und sie hatte sich immer vorgestellt, dass sie sich eines Tages einen Beagle zulegen würde oder vielleicht einen Border Collie, irgendeine sanftmütige, friedliche Rasse.
    Nicht so eine Bestie wie die, die jetzt vor diesem Fenster Wache hielt. Eine Bestie, die sich anhörte, als ob sie ihr mit einem Biss die Kehle zerfetzen könnte.
    Der Hund begann zu bellen. Sie hörte, wie draußen Autoreifen quietschen und ein Motor abgestellt wurde.
     
    Sie erstarrte und spürte, wie ihr Herz gegen ihre Rippen schlug, während das Gebell sich zur Raserei steigerte. Ihr Blick schnellte hinauf zur Decke, wo plötzlich knarrende Schritte zu hören waren.
    Sie ließ den Schuh fallen und wich von der Tür zurück, so weit es nur ging, bis sie sich mit dem Rücken an die Betonwand drückte. Sie hörte, wie ein Riegel beiseitegeschoben wurde, und dann schwang die Tür knarrend auf. Der Strahl einer Taschenlampe fiel herein, und als der Mann auf sie zukam, wandte sie das Gesicht ab, so geblendet, als hätte sie ihre Netzhaut direkt der Sonne ausgesetzt.
    Er stand einfach nur vor ihr, ohne ein Wort zu sagen. Die Betonwände der Kammer verstärkten jedes Geräusch, und sie hörte seinen

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