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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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krallten nach ihren Türen. Sie ließ das Fenster herunter, und der Geruch von verrottendem Laub und feuchter Erde wehte herein. Die Straße wurde immer unwegsamer, und während sie die Schlaglöcher umkurvte, sah sie sich schon mit einem Achsbruch hier mitten im Wald liegen bleiben. Der Gedanke machte sie ganz nervös – obwohl es weit gefährlicher gewesen wäre, in irgendeiner beliebigen Großstadt allein unterwegs zu sein. In der Stadt kannte sie sich aus, und sie konnte mit ihren Gefahren umgehen.
    Der Wald war für sie fremdes Terrain.
    Endlich lichteten sich die Bäume, und sie hielt auf einem von Unkraut überwucherten Parkplatz. Sie stieg aus und starrte das leer stehende Hilzbrich Institute an, das vor ihr aufragte. Es sah genau aus wie die Besserungsanstalt, die es einmal gewesen war – ein strenger Betonbau, dessen Anblick nur durch eine Grünanlage mit Sträuchern etwas abgemildert wurde. Doch auch diese hatten dem Kampf gegen die wild wuchernden Eindringlinge aus dem Wald längst verloren. Sie versuchte sich vorzustellen, wie dieses festungsartige Gebäude auf die Familien gewirkt haben musste, die mit ihren schwierigen Söhnen hierher gekommen waren. Der Eindruck war der einer Einrichtung, wo einem Jungen ein für alle Mal sämtliche Flausen ausgetrieben wurden, wo niemand mit Glacehandschuhen angefasst wurde, wo es keine Kompromisse gab. Dieses Gebäude verhieß heilsame Strenge und strikte Regeln. Die verzweifelten Eltern, die zum ersten Mal vor dieser abweisenden Fassade gestanden hatten, mussten sogleich neue Hoffnung geschöpft haben.
    Heute aber ließ das Gebäude nur noch erkennen, wie schal diese Hoffnungen gewesen waren. Die meisten Fenster waren mit Brettern vernagelt. Im Hauseingang hatte der Wind das tote Laub zu Haufen aufgetürmt, und die Fassade war mit hässlichen braunen Streifen überzogen, wo das rostige Wasser aus den verstopften Dachrinnen gesickert war. Kein Wunder, dass Dr. Hilzbrich es nicht geschafft hatte, dieses Anwesen zu verkaufen: Das Haus war eine Monstrosität.
     
    Jane stand auf dem Parkplatz und lauschte auf den Wind in den Bäumen, das Summen der Insekten. Sie konnte absolut nichts Außergewöhnliches hören, nur die normalen Geräusche eines Sommernachmittags im Wald. Sie nahm die Schlüssel, die Dr. Hilzbrich ihr geliehen hatte, aus der Tasche und steuerte den Haupteingang an. Doch als sie die Tür erreichte, blieb sie abrupt stehen.
    Das Schloss war aufgebrochen worden.
    Sie zückte ihre Waffe und stieß die Tür leicht mit dem Fuß an. Sie schwang auf, und ein Lichtkeil fiel in die Dunkelheit dahinter. Als sie mit ihrer Maglite hineinleuchtete, sah sie einen mit leeren Bierdosen und Zigarettenkippen übersäten Boden. Fliegen kreisten brummend in der Dunkelheit. Janes Puls verfiel in einen hektischen Galopp, und ihre Hände waren plötzlich eiskalt. Sie witterte den süßlich-strengen Geruch eines toten Körpers, der schon in Verwesung übergegangen war.
    Mein Gott, wenn es bloß nicht Josephine ist.
    Sie trat über die Schwelle. Glassplitter knirschten unter ihren Sohlen, als sie ihre Taschenlampe über die mit Graffiti beschmierten Wände schwenkte: GREG AND ME 4EVAH! KARI IST SCHWUL!
    Typische Schülersprüche. Sie ignorierte sie, richtete den Strahl ihrer Taschenlampe auf die hinterste Ecke – und erstarrte.
    Da lag ein dunkles Bündel am Boden.
    Als sie quer durch den Raum darauf zuging, wurde der Verwesungsgestank unerträglich. Sie starrte auf den toten Waschbären hinab, sah das Gewimmel der Maden, und ihr erster Gedanke war: Tollwut. Sie fragte sich, ob in diesem Gebäude wohl Fledermäuse hausten.
    Dann musste sie würgen und flüchtete vor dem Gestank hinaus auf den Parkplatz, wo sie gierig die frische Luft einsog, um ihre Lunge durchzuspülen. Erst jetzt, als sie mit dem Gesicht zu den Bäumen stand, bemerkte sie die Reifenspuren. Sie führten von dem geteerten Parkplatz in den Wald, wo sich zwei parallele Furchen in den weichen Boden gegraben hatten. Sie besah sich das niedergedrückte Gras und die abgeknickten Zweige und stellte fest, dass die Schäden an der Vegetation jüngeren Datums waren.
    Sie folgte den Reifenspuren. Nachdem sie ein kurzes Stück in den Wald hineingegangen war, endeten die Spuren am Startpunkt eines Wanderwegs, der für Fahrzeuge zu schmal war. An einem Baum hing noch immer das Hinweisschild:
    GROSSER RUNDWEG
     
    Es war einer der alten Wanderwege der Anstalt. Bradley war gerne an der frischen Luft gewesen, hatte Dr.

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