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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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abwickelte. Da in den Binden häufig Amulette und Juwelen gefunden wurden, war es so etwas wie eine Schatzsuche, bei der man kleine Geschenke für die Gäste auspackte.«
    »Das war für diese Leute ein Gesellschaftsspiel?«, fragte Frost. »Eine Leiche auswickeln?«
    »Es wurde in einigen der nobelsten viktorianischen Häuser gemacht«, erklärte Robinson. »Man sieht daran, wie wenig Respekt diese Menschen vor den Toten des alten Ägypten hatten. Und wenn sie mit dem Auswickeln der Mumie fertig waren, wurde sie weggeworfen oder verbrannt. Aber die Bandagen behielt man häufig als Souvenirs. Deshalb tauchen immer noch welche aus der Versenkung auf und werden zum Verkauf angeboten.«
    »Diese Binden könnten also alt sein«, meinte Frost, »auch wenn die Leiche es nicht ist.«
    »Das würde die Radiokarbondatierung erklären. Aber was Madam X selbst betrifft…« Robinson schüttelte ratlos den Kopf.
    »Wir können immer noch nicht nachweisen, dass das hier ein Mord war«, sagte Frost. »Sie können niemanden auf der Grundlage einer Schussverletzung verurteilen, die schon halb verheilt war.«
    »Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass sie sich freiwillig hat mumifizieren lassen«, meinte Jane.
    »So unwahrscheinlich ist das gar nicht«, entgegnete Robinson.
    Alles starrte den Kurator an, dessen Miene vollkommen ernst war.
    »Sich freiwillig das Gehirn und die Organe rausholen lassen?«, rief Jane. »Nein danke.«
    »Es hat tatsächlich Menschen gegeben, die ihren Körper zu gen au diesem Zweck der Wissenschaft vermachten.«
    »Hey, die Sendung habe ich auch gesehen«, warf Frost ein. »Das war auch auf dem Discovery Channel. Da hat irgendein Archäologe tatsächlich einen Typen mumifiziert.«
    Jane starrte auf den eingehüllten Leichnam. Sie malte sich aus, wie es wäre, in Schichten um Schichten von Bandagen gewickelt zu werden, die ihr die Luft zum Atmen raubten. Tausend, ja zweitausend Jahre in einer Zwangsjacke aus Leinen gefesselt zu sein, bis zu dem Tag, da es irgendeinem neugierigen Archäologen in den Sinn kam, sie von den Stoffbahnen zu befreien und ihre vertrockneten Überreste bloßzulegen. Nicht Staub zu Staub, sondern Haut zu Leder. Sie schluckte. »Wieso sollte irgendjemand sich freiwillig dafür zur Verfügung stellen?«
    »Es ist eine Art von Unsterblichkeit, finden Sie nicht?«, entgegnete Robinson. »Eine Alternative zum langsamen Verfaulen. Ihr Körper wird konserviert. Die Menschen, die Sie lieben, müssen Sie nicht der Verwesung anheimgeben.«
    Die Menschen, die Sie lieben. Jane blickte auf. »Wollen Sie damit sagen, dass das so eine Art Liebesbeweis gewesen sein könnte?«
    »Es wäre eine Möglichkeit, jemanden festzuhalten, den man liebt. Ihn oder sie vor den Würmern zu bewahren. Vor der Fäulnis.«
    Der Weg allen Fleisches, dachte Jane, und die Temperatur im Raum schien plötzlich zu fallen. »Vielleicht geht es aber auch gar nicht um Liebe. Sondern ums Besitzen.«
     
    Robinson erwiderte ihren Blick, offensichtlich beunruhigt durch diese Möglichkeit. Leise sagte er: »So hatte ich das noch nicht gesehen.«
    Jane wandte sich an Maura. »Machen wir weiter mit der Obduktion. Wir brauchen mehr Informationen, mit denen wir arbeiten können.«
    Maura trat an den Leuchtkasten, nahm die Röntgenaufnahmen der Beine ab und ersetzte sie durch die CT-Filme. »Drehen wir sie wieder auf den Rücken.«
    Diesmal gab Maura sich keine Mühe, den Schaden möglichst gering zu halten, als sie sich daranmachte, die Leinenbinden um den Rumpf der Leiche zu durchschneiden. Jetzt wussten sie, dass es kein antikes Relikt war, in das sie ihr Skalpell senkte; dies war nun eine Todesermittlung, und die Antworten lagen nicht in den Leinenstreifen, sondern im Fleisch und in den Knochen selbst. Der Stoff fiel auseinander und gab den Blick auf die braune, runzlige Haut des Rumpfes frei, durch die man die Umrisse der Rippen erkennen konnte, die sich wölbten wie die knöchernen Streben eines Zelts aus Pergament. Maura trat ans Kopfende, hob mit einem Ruck die bemalte Maske aus Kartonage ab und begann die Streifen zu durchschneiden, die das Gesicht bedeckten.
    Jane betrachtete die CT-Filme am Leuchtkasten und wandte sich dann stirnrunzelnd zum entblößten Rumpf der Mumie um.
    »Die Organe werden bei der Mumifizierung doch alle herausgenommen, nicht wahr?«
    Robinson nickte. »Das Entfernen der Eingeweide verlangsamt den Fäulnisprozess. Das ist einer der Gründe, weshalb die Leichen nicht verwesen.«
    »Aber hier ist nur

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