Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
die Autobahn war abgebildet. Drei mit verschiedenen Farben markierte Linien durchschnitten die Landschaft, beschriftet mit Variante 1, Variante 2 und Variante 3 . Zwei verliefen in unterschiedlichen Bögen östlich um Kirchhagenherum, die dritte verlief auf der westlichen Seite. Außerdem standen ein paar mit Bleistift gekritzelte Bemerkungen wie Biotop, Wasserlauf oder Hauskoppel Reuter auf der Karte. »Die sollten wir mitnehmen«, sagte sie zu Schelling. Sie wollte sich gerade abwenden, als ein einzelner Begriff auf der Karte ihre Aufmerksamkeit erregte.
»Was könnte das bedeuten?«, fragte sie. Neben der rosa markierten Linie befand sich ein rotes Kreuz. Darunter stand: Probebohrung 4 – Fundort Knochen.
Schelling runzelte die Stirn.
»Merkwürdig«, sagte Pia. Sie machte sich eine Notiz, bevor sie sich den Aktenschränken zuwandte. Aktenordner gleicher Farbe reihten sich sauber beschriftet auf den Regalböden.
»Da gibt es noch einiges zu sichten. Komisch, das Arbeitszimmer einer Journalistin hatte ich mir anders vorgestellt …«, sagte Schelling.
»Wie denn?«
»Irgendwie lebendiger, nicht so … steril.«
»Sie war wohl viel unterwegs«, antwortete Pia mit Blick auf den zugeklappten Laptop auf der Arbeitsfläche. Lisanne Olsen musste ständig aufgeräumt haben, um in dem beengten Häuschen Ordnung halten zu können. Sie schien diszipliniert gewesen zu sein, was wohl auch notwendig war, wenn man freiberuflich arbeitete.
Pia sah auf ihre Armbanduhr. »Ich lass euch jetzt in Ruhe hier arbeiten. Drüben wartet Jan Dettendorf auf mich.«
»Nicht allzu sehnsüchtig, fürchte ich«, antwortete Schelling.
Pia ging hinaus auf den Hof und atmete tief durch. Endlich bekam sie wieder Luft durch die Nase. Vielleicht lag es ja an der frischen Landluft … Sie fand Jan Dettendorf hinter dem Stallgebäude, wo er gerade eine volle Schubkarre mit dampfendemMist und Stroh über ein schmales Holzbrett auf den Misthaufen balancierte. Er leerte die Karre und schob sie wieder hinunter. Als er Pia entdeckte, stiefelte er direkt durch die stinkende Jauche auf sie zu. Sein Gesicht war gerötet, und eine feuchte Haarsträhne hing ihm in die Stirn.
»Ich bin sofort fertig. Wir können uns drinnen unterhalten. Wenn Sie wollen, schauen Sie sich hier um, bis ich so weit bin. Die meisten Pferde stehen bei diesem Wetter im Stall. Und das«, er deutete mit einer knappen Kopfbewegung hinter sich, »sind die sterblichen Überreste von Absalom, Lisannes Pferd. Er wird nachher abgeholt.«
Der Kadaver lag halb verborgen hinter Mist und Stroh und hob sich kaum von der dunklen Mauer dahinter ab.
»Ist das Pferd denn schon untersucht worden?«, fragte sie argwöhnisch.
»Ein totes Pferd? Dr. Freese hat ihn doch selbst eingeschläfert.«
»Bevor die Spurensicherung ihn nicht untersucht hat, darf der Kadaver nicht abgeholt werden«, ordnete sie an.
Dettendorf schnaubte leise, ein Geräusch, das er vielleicht von seinen Pferden übernommen hatte. Er schob die leere Karre in Richtung Stalltür. Als er außer Sichtweite war, umrundete Pia den Misthaufen.
Das Pferd lag dort wie ein weggeworfenes Spielzeug. Die Leichenstarre hielt noch an. Die Beine ragten grotesk in die Luft, der Hals war verdreht und das Maul leicht geöffnet. Es entblößte eine Reihe langer gelblicher Zähne. Die Augäpfel waren unter einer milchigen Schicht verborgen.
Pia umrundete den leblosen Körper. Der Rumpf des Tiers wirkte geradezu gewaltig. Dort, wo Sattel und Zaumzeug gewesen waren, hatte das Pferd während des Rittes geschwitzt, und das Fell sah aus wie von Raureif überzogen.
Pia guckte sich die Vorderläufe genauer an. Das Fell war mit geronnenem Blut dunkel verkrustet. Wo Fell und Haut zerfetzt waren, lagen Sehnen und Knochen bloß. Pia musste sich zwingen, ganz nah heranzugehen. Gut möglich, dass die Verletzungen an den Vorderläufen von einem Stahlseil herrührten. Der Tierarzt und auch die Spurensicherung mussten sich das noch einmal genauer ansehen und vor allem fotografisch sichern, bevor der Kadaver abgeholt wurde.
Sie zog ihr Mobiltelefon hervor, um das alles zu veranlassen. Dann wandte sie sich in Richtung Wohnhaus.
5. Kapitel
I ch habe die ganze Nacht wach gelegen und gegrübelt. Warum haben Sie mir all diese Fragen gestellt? Gibt es vielleicht Anhaltspunkte dafür, dass Lisannes Tod gar kein Unfall war?«
Pia und Dettendorf saßen sich in einer geräumigen Küche gegenüber. Um sie herum Kassettentüren in Eiche rustikal, bleigefasste
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