Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
plötzlich das Gefühl hatte, die Befragung könnte länger dauern. Sie wollte allerdings nicht in das Büro zurückkehren, sondern auf jeden Fall mit Herrn Burmeister allein sprechen. Hier in seinem Reich wirkte er weniger verschlossen als vorhin.
»Äh, da Sie vielleicht nicht gerade auf einem der Särge nebenan Platz nehmen wollen, warten Sie …« Er zog eine Kiste unter der Werkbank hervor und befreite sie mit der bloßen Hand von einer dicken Schicht Holzstaub. Dann nahm er sich einen Schemel und setzte sich Pia gegenüber. Sie griff nach ihrem Notizbuch.
»Ich stamme aus einem Nachbarort von Kirchhagen und kenne meine Frau seit der Schulzeit«, begann Simon Burmeister zu erzählen. »Nach der Schule habe ich ein paar Semester Medizin studiert, bis ich für mich festgestellt habe, dass ich wohl nicht zum Mediziner tauge. Die Verantwortung für die Gesundheit und das Leben der Patienten hätte mich auf Dauer zu sehr belastet. Marion und ich haben geheiratet, als Marion schwanger wurde, und ihr Vater hat uns dann das Bestattungsinstitut mit der Tischlerei überlassen, die damals noch florierte. Marion hatte alte Eltern, die gern in Ruhestand gehen wollten. Kurz darauf sind sie gestorben.«
»Wollten Sie gern als Bestatter arbeiten?«
»Nun ja, es war eine Chance. Und eigentlich hat das Handwerkliche für mich im Vordergrund gestanden. Ich habe schon immer gern mit Holz gearbeitet. Aber das Geschäft mit dem Tod ist dann mehr und mehr in den Vordergrund gerückt. Marions Schwangerschaft endete mit einer Fehlgeburt im fünften Monat, und danach hat es zu unserem großen Kummer nicht mehr geklappt mit Nachwuchs. Dafür wurde Jan Dettendorf, der Nachbarssohn, fast so etwas wie ein Ersatzkind für uns. Inzwischen pflegen wir regen nachbarschaftlichen Kontakt. Darum geht uns der Tod von Jan Dettendorfs Freundin auch so nahe.«
»Wann haben Sie Lisanne Olsen zuletzt gesehen?«
»Am Montagnachmittag, als sie vorbeikam, um mit Marion einen Kaffee zu trinken. Sie hatten etwas wegen der bevorstehenden Einwohnerversammlung zu besprechen. Mal wieder das leidige Umgehungsstraßenthema, vermute ich.«
»Sie waren nicht dabei? Wo haben Sie Lisanne Olsen gesehen?«
»Ich habe ihr die Tür geöffnet, als sie kam.«
»Waren Sie mit auf der Einwohnerversammlung?«
»Nein. Dieser Streit um die Straße ist mir zuwider, ich will in Ruhe gelassen werden.«
Pia nickte. Ein seltsames Paar, diese Burmeisters. Er in sich gekehrt, wahrscheinlich auch depressiv, sie extrovertiert und erfolgreich. Wie ging das auf Dauer gut?, fragte sie sich. Aber was wusste sie denn schon von Partnerschaft, wo sie doch kaum im Stande war, eine Beziehung über das erste halbe Jahr zu bringen. Sie zog die Kopie des Fotos vom Schützenfest heraus und hielt sie Simon Burmeister hin. »Kennen Sie die Personen auf dem Bild?«
Er kniff die Augen zusammen, holte dann eine Halbbrille aus der Brusttasche seines grauen Arbeitskittels und setzte sie auf die Nase. »Woher haben Sie das? Das sind Marion, Henriette Mühlberg und ein Mann, den ich nicht kenne. Lange her, wie es aussieht. Fast schon nicht mehr wahr.«
»Wissen Sie, zu welcher Gelegenheit es aufgenommen wurde?«
»Nein. Sieht im Hintergrund nach einer Feier aus, nicht wahr? Ich kann mich nicht erinnern, dabei gewesen zu sein. Aber was hat dieses Bild mit dem Mord an Lisanne Olsen zu tun?«
»Wir haben es unter ihren Sachen gefunden«, antwortete Pia ausweichend.
»Sie hat für eine Zeitung gearbeitet.«
»Ihre Frau sagte mir, der Mann auf dem Foto sei ein Freund von Henriette Mühlberg gewesen. Aber seinen Namen wüsste sie auch nicht mehr.«
»Dann war er das wohl. Marion hat ein gutes Gedächtnis. Was sagt denn Henriette dazu?«
Die Art, wie er ihren Namen aussprach, ließ Pia aufmerken.
»Frau Mühlberg vermutet, dass der Mann ein Verehrer Ihrer Frau war.«
Simon Burmeister schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen, so gern ich auch möchte. Ich habe den Mann noch nie gesehen.«
»Vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas ein zu dem Bild. Möchten Sie die Kopie behalten?«, fragte Pia.
Simon Burmeister gab ihr das Foto zurück. »Es bringt nichts, ich bin mir sicher.«
»Also gut. Dann nehmen Sie zumindest meine Karte, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte. Wie gut kennen Sie eigentlich Frau Mühlberg?«
»Henriette? Schon Ewigkeiten.« Er zögerte kurz, setzte dann hinzu: »Aber sie lebt sehr zurückgezogen in dem alten Haus da draußen, lässt niemanden
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