Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
an sich heran. Marion besucht sie ab und zu, aber mehr aus Pflichtgefühl, verstehen Sie? Sie kümmert sich gern um Menschen, sie hat ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl. Nicht so wie die meisten von uns, ich schließe mich da gar nicht aus. Meine Frau ist ein bewunderungswürdiger Mensch.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Pia, obwohl sie diese Charakterisierung eines Ehepartners befremdlich fand. Wer wollte schon bewunderungswürdig sein? Nicht zum ersten Mal spürte sie Mitleid mit der forsch auftretenden Marion Burmeister. Die zusammengesunkene Gestalt ihres Ehemannes, die Särge im Hintergrund, die Trauer und Last, die regelmäßig in dieses Haus hineingetragen wurden – Pia hatte plötzlich das Gefühl, fliehen zu müssen. Sie packte ihre Sachen zusammen und verabschiedete sich von Simon Burmeister. Als sie wieder an der Hauptsraße stand, der Geruch der Abgase sie in der Nase kitzelte und ein heftiger Windstoß ihr das Haar zerraufte, atmete Pia auf.
18. Kapitel
I ch hau’ ab, Schätzchen!«
Henriette Mühlberg streichelte dem Getigerten über das dichte Fell. Der Kater verharrte einen Moment reglos auf der Kommode, dann begann seine Schwanzspitze zu zucken, er sprang auf den Fußboden und ging ungerührt seiner Wege. Den kleinen Rollenkoffer, der gepackt neben der Eingangstür stand, strafte er mit Nichtachtung.
»Es muss sein, ist einfach besser so.« Henriette hatte den Entschluss wegzufahren erst gestern Abend gefasst, und es war pures Glück gewesen, dass sie ihre Freundin erreicht hatte und sich für ein paar Tage bei ihr hatte einladen können. Am gestrigen Abend hatte sie im Wohnzimmer gesessen und sich dabei ertappt, wie sie in einem Buch geblättert hatte, ohne im Geringsten mitzubekommen, was sie gerade las. Ihre Gedanken waren um Lisanne Olsen gekreist, den heimtückischen Mord und die Folgen, die er noch haben mochte. Sie war in ihrem Sessel immer tiefer zusammengesunken, und trotz des Heizlüfters zu ihren Füßen und zweier Wolldecken war ihr eiskalt gewesen.
Dann hatte ein lautes Knacken in dem alten Gebälk sie zusammenfahren lassen, und ihr Herz hatte lange gebraucht, um wieder normal zu schlagen. An diesem Punkt hatte Henriette das getan, was sie immer tat, wenn sie verunsichert war: Sie hatte gehandelt.
Jetzt, bei Tageslicht, konnte sie nicht mehr so ganz nachvollziehen, was sie gestern so beunruhigt hatte. Aber eines wusstesie: Auch heute würde es gegen fünf Uhr wieder stockdunkel sein, und sie hatte keine Lust, wie ein verschrecktes Kaninchen in ihrem Bau zu hocken, während … ja, während was eigentlich? Besser, sie war nicht hier, um es herauszufinden.
Henriette humpelte durch das ganze Haus, prüfte, ob die Fenster fest verschlossen und die Heizkörperventile zugedreht waren. Heute schmerzte ihr rechtes Knie, während ihr Schultergelenk sich mit gelegentlichen Stichen begnügte. Sie vergewisserte sich, dass alle ihre Tiere für ein paar Tage gut versorgt waren. Die Katzen würden durch die Katzenklappe in der Küchentür rein- und rauskommen, und Marion würde zwischendurch für frisches Wasser und Futter sorgen. Das Terrarium stand eingeschlossen im Büro. Marion musste sich nicht darum kümmern. Mit dem Kriechzeug , so hatte sie Henriette unmissverständlich zu verstehen gegeben, wollte sie nichts zu tun haben.
Henriette hatte nur Simon angetroffen und ihn gebeten, Marion Bescheid zu sagen, dass sie wegfuhr. Sie hoffte, dass die Kapazitäten seines vertrockneten Hirns noch ausreichten, um seiner Frau eine einfache Nachricht zu übermitteln. Wenn nicht, dann mussten sich die Katzen mit ein paar Mäuschen begnügen, die es rund um das Haus zur Genüge gab. Konnte ihnen auch nicht schaden, wenn sie für ihr Futter mal etwas tun mussten.
Draußen ertönte ein kurzes Hupen, das bestellte Taxi war da. Henriette schnappte ihr Köfferchen – das mit den Jahren immer leichter wurde, da sie sich mit immer weniger Gepäck belasten wollte – und verließ ihr Haus.
Als das Taxi die schmale Zufahrt hinunterfuhr, nickte sie zufrieden. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Zum ersten Mal in ihrem ereignisreichen Leben fühlte sie sich in ihrem eigenen Haus bedroht …
Zur lustigen Ecke … Na, wenn das nicht ein unterhaltsamer Nachmittag zu werden versprach! Gerlach zog die Kneipentür auf. Eine dichte Wolke abgestandener Luft quoll ihm entgegen, als er den Schankraum betrat. Er brauchte einen Moment lang, bis er sich an das schummrige Licht im Innern gewöhnt
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