Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
lächelte. Offenbar machte ihmihr Entsetzen auch noch Spaß. »Sonst fressen meine Köpis Laborratten, heute mal Meerschweinchen, wo ist denn da der Unterschied? Ein schneller, sauberer Abgang. Beneidenswert geradezu. Du kannst zugucken, wenn du möchtest.«
Sie hatte schon mal gehört, dass er Königspythons in einem Terrarium hielt. Er behauptete, auch eine Grüne Mamba zu besitzen, obwohl die noch niemand im Ort je zu Gesicht bekommen hatte.
Leo griff mit seinen manikürten Händen in den Karton und holte ein Rosettenmeerschweinchen heraus. Er hielt es vor seine Brust und streichelte das struppige Fell. Das Bild war grotesk. Anke konnte den Blick nicht von ihm abwenden.
»Oder willst du sie haben, für deine Kinder?«
»Nein, danke.«
»Schade.«
Er bewegte kurz eine Hand, es gab ein knackendes Geräusch, das Meerschweinchen zuckte noch einmal und hing dann leblos in seiner Hand. Anke starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Leo lächelte immer noch. »Eine meiner Köpis frisst nur Lebendfutter, die andere mag es lieber so.«
»Du hast ihm das Genick gebrochen«, sagte Anke.
Leos Stimme klang plötzlich ganz sanft. »Dagegen sah Dettendorf heute doch noch richtig frisch aus, oder?«
Nein! Das war das Erste, was Jan Dettendorf heute Morgen beim Aufwachen gedacht hatte. Nein, ich will nicht. Ich kann nicht. Nicht heute, niemals!
Aber nun stand er doch hier, als hätte eine geheimnisvolle Kraft, die stärker war als sein Wille, ihn in das Haus der Burmeisters geführt. Simon Burmeister hatte doch noch einen Termin frei gehabt.
Er war hier, um Lisannes Beerdigung zu organisieren.
Der letzte Dienst, den er ihr erweisen wollte, weil ihr Onkel sich der Verantwortung entzog. Wie schwer es ihm auch fiel, er musste es durchstehen, so gut es ging.
Er zog sich die Stiefel im Hausflur aus, wie er es seit seiner Kindheit tat, und folgte Simon Burmeister auf Wollsocken ins Wohnzimmer. Er spürte den ausgetretenen Teppich unter den Füßen, hörte das vertraute Ticken der alten Standuhr und fühlte sich schutzlos und völlig fehl am Platze. Ich hätte ein anderes Bestattungsinstitut nehmen sollen, dachte er bestürzt. Sonst werde ich nie mehr herkommen können, ohne an diesen Tag zu denken.
Burmeister wirkte verlegen, bot ihm einen Platz an und schlich zwischen Schreibtisch und Tisch hin und her, um zahllose Prospekte und das dicke Auftragsbuch zu holen. Dettendorf setzte sich unbeholfen, rieb sich seine kalten Hände, stoppte aber mitten in der Bewegung, weil ihm die Geste geschmacklos und unpassend erschien.
Burmeister musterte ihn mit seinen hellen, wässrig aussehenden Augen. »Wollen wir gleich anfangen, Jan? Oder möchtest du noch etwas, einen heißen Tee oder so, zur Stärkung?«
»Wir können gleich anfangen. Ich möchte, dass Lisanne ein stilvolles Begräbnis bekommt. Ihre … äh … ihr Körper ist gestern von der Rechtsmedizin freigeben worden. Ich habe denen gesagt, dass sie zu euch gebracht werden soll. Das ist doch in Ordnung so?«
»Sicher, Jan. In den Kühlraum … überhaupt kein Problem. Wir kümmern uns um alles. Du musst nur sagen, wie du es haben willst. Gibt es irgendwo ein Familiengrab der Olsens, oder soll sie bei uns in Kirchhagen begraben werden?«
»Bei uns. Von ihrer Familie lebt nur noch ihr Onkel. Lisanne hatte wohl auch eine Schwester, aber die soll in Frankreich gestorben sein, vor ein paar Monaten schon. Ich habegerade erst davon erfahren. Da ihr Onkel kein Interesse an der Angelegenheit zu haben scheint, kann sie genauso gut hier beerdigt werden. Ich kümmere mich dann darum.«
»Das ist großzügig von dir, wo ihr doch nicht mal …«
»Wir wollten heiraten, diesen Sommer noch«, warf Dettendorf rasch ein, und er war erstaunt, wie selbstverständlich das klang. Er musste es nur oft genug sagen, dann glaubte er zuletzt sogar selbst daran.
Burmeister begann, etwas in sein Buch zu schreiben. Als der dabei den Kopf beugte, fiel Dettendorf zum ersten Mal das dünne Haar an seinem Hinterkopf auf, durch das die wachsbleiche Kopfhaut deutlich zu sehen war. Wie alt mochte er sein? Marion wirkte viel jünger als er. Jan Dettendorf hatte schon als Kind Simon Burmeister als gebeugten, fast willenlosen Mann wahrgenommen, der allein in seiner Tischlerwerkstatt glücklich zu sein schien. Arme Marion, sie hatte es bestimmt nicht leicht mit ihm. Was sie wohl früher einmal in ihm gesehen hatte? Selbst in den Siebzigern war eine Schwangerschaft doch kein zwingender Grund mehr gewesen,
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