Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
Vom Netzwerk:
Zweifel. So viele Zufälle
konnte es nicht geben. Und wenn das so wäre, hätte die Enkelin, die Resi,
gelogen. Gelogen, um eventuell etwas zu verschleiern.
    Vorerst wollte er seine Gedanken jedoch noch für sich behalten. Sie
waren noch zu unklar, um den anderen mitgeteilt zu werden.
    ***
    Als Joe Ottakring an diesem Morgen kurz nach sieben
aufwachte, war er immer noch sehr müde. Er blieb mit offenen Augen unbeweglich
und kraftlos im Bett liegen.
    In seiner aktiven Zeit war ihm das nie passiert. Da hatte er Nächte
durcharbeiten können und war am Morgen frisch und bereit zu neuen Taten
gewesen. Aber das war nun schon gute zwei Jahre her. Er setzte sich auf die
Bettkante. Der Fußboden unter seinen Füßen war kalt. Er zwang sich in die
Senkrechte.
    Lola fehlte ihm. Finnland, ein Kongress. Der Bauch zog sich ihm bei
dem Gedanken zusammen, dass sie ihn wieder hintergangen haben könnte wie bei
einer ihrer letzten längeren Abwesenheiten.
    Dann ging er ins Badezimmer. Das kalte Wasser nach dem heißen
Duschen war wie eine Ohrfeige. Doch er hatte sich vorgenommen, diese Gewohnheit
beizubehalten, die ihn dazu zwang, wieder zu funktionieren. Wenn sie zurückkam,
würde er Lola fragen, wie die Finnen es mit dem Duschen handhabten.
    Als der Kaffee fertig war, begab er sich an den Küchentisch.
Inzwischen hatte er die Morgenzeitung geholt. Auf der Regionalseite waren ein
Foto der Grabmoosalm und eine kurze Meldung abgedruckt.
    Annemarie Moser, die weithin bekannte Wirtin, sei bei einem Unfall
ums Leben gekommen. Resi, ihre Tochter, übernehme nunmehr die Leitung der Alm.
    Mehr nicht.
    Doch Ottakring konnte zwischen den Zeilen lesen. Etwas stimmte da
nicht. Kein Wort zur Art des Unfalls, keine weiteren Ausführungen.
    Das Kurioseste: Er selbst war noch am Tag des Unfalls auf der
Grabmoosalm gewesen und hatte die Wirtin lebend im Kreis ihrer Familie gesehen!
Das musste demnach kurz vor dem Unfalltod gewesen sein.
    Er wollte weiterblättern. Doch er kam nicht zum Lesen. Seine
Gedanken waren bei dem Unfall. Immer wieder. Etwas vagabundierte minutenlang in
seinem Hinterkopf herum. Bis er darauf kam.
    Seine Mutter. »Die Moserin ist eine Mörderin!«, hatte sie gekrächzt.
    Und er hatte gelacht, als sie ihm ihren Verdacht ins Gesicht warf!
    Er blickte auf die Uhr. Wenn er jetzt bei seinen früheren Kollegen
anrufen würde und er läge mit seinem Gefühl falsch, würden sie ihn für verrückt
erklären.

SECHS
    Die Resi war abwechselnd sehr traurig und sehr nervös,
manchmal beides zugleich. Tieftraurig, weil sie von einer Sekunde auf die
andere die Mutter verloren hatte, und nervös, weil sie merkte, dass sie einen
groben Fehler begangen hatte.
    Sie hätte nach Worten suchen müssen, sollte sie den Zustand beschreiben,
in dem sie sich befand, seit ihr Seppe die Sprache verloren hatte.
    Sie hatte mit ansehen müssen, wie ihre Mutter auf abscheuliche Weise
getötet wurde. Mitten durch den Mund. Hätte sie da der Polizei die Wahrheit
erzählen sollen?
    Nichts deutete vorläufig auf die Moserin als Täterin hin.
    Selbst der Fehler, den sie begangen hatte, war kein Hinweis.
    Trotzdem war die Resi nun beim Besteckputzen aus einem unbestimmten
Grund nervös, weil sie an der Flinte sämtliche Spuren beseitigt hatte. Fünf,
sechs Mal oder öfter war sie mit dem nassen Handtuch drübergegangen.
    Natürlich hatte sie lediglich die Fingerabdrücke von der Moserin
entfernen wollen, damit kein Verdacht auf sie fiel. Doch selbstverständlich
hätten zumindest die Abdrücke ihrer toten Mutter daran kleben müssen. Sie war
auf Wolfsjagd gewesen, und das hatte sie der Polizei auch berichtet.
    Während sie noch überlegte, schoss ihr plötzlich siedend heiß ein
weiterer Gedanke durch den Kopf. Hatte nicht vorher schon dieser Kriminaler den
beiden Frauen die Waffe entrissen, als sie hitzköpfig darum gerungen hatten?
Auch seine Spuren hätten demnach gefunden werden müssen.
    Aber das wusste niemand, und der Mann dürfte sich kaum mehr daran
erinnern.
    »Mein arms Pfeiferl.«
    Früher hatte er, wenn die Mama mit ihm sprach, geantwortet: »Ja,
Mama«, oder etwas Ähnliches.
    Jetzt spitzte er die Lippen und pfiff.
    »Di di daa daa.«
    Am liebsten hatte er es, wenn sie ihn in die Arme nahm und ihn
abbusselte. Das war ihm dann eine komplette Pfeif-Symphonie wert.
    Auf einmal, mitten im Besteckputzen – Essteile in der Linken,
Lappen in der Rechten –, fuhr ihr ein Schreck durch die Glieder.
    »Pfeiferl! Seppe! Wo bist du?«, rief sie durchs

Weitere Kostenlose Bücher