Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
Vom Netzwerk:
bodenlanges schwarzes Dirndl mit dunkelbrauner Schürze.
    »Der Wolf ist tot!«, krächzte sie mit Mühe und rückte sich die Nickelbrille
zurecht. Die weit auseinanderstehenden Augen sahen über Ottakring hinweg in die
Ewigkeit. Die Habsburgernase zuckte, als ob sie Witterung aufnähme.
    »Ich!«, schrie sie blechern hinaus. »Den Wolf.« Ihre langen Bergbauernarme
ließ sie wie Sensen kreisen.
    »Können Sie mir sagen, was Sie meinen? Und warum spricht meine
Mutter von einem Haftbefehl?«, sagte Ottakring ernst.
    Er drängte die Moserin zurück und sah um sich, um sich zu
vergewissern, dass niemand die Antwort mitbekam. Wenn es eine Antwort gäbe.
    Sie streckte eine erstaunlich starke Hand aus und winkte ihn mit dem
Zeigefinger zu sich. Komm, komm, komm, schien der Finger zu sagen.
    Ottakring näherte sein Ohr ihrem Mund, sodass er den stinkig-lauen
Atem riechen musste. Es dauerte lange. Er fürchtete schon, sie würde ihn
beißen, da flüsterte sie ihm unerwartet etwas ins Ohr. Es war nicht viel, und
sie brauchte nicht lange. Doch es reichte, um Ottakring das Gesicht verziehen
zu lassen und ihn nachdenklich zu machen.
    »Sag ich doch«, flötete seine Mama mit ihrem Piepsstimmchen dazwischen
und machte die Bewegung des Halsabschneidens. »Haftbefehl. Die Moserin ist eine
Mörderin.«
    Lange hatte Ottakring nicht gelacht. Aber jetzt musste er laut
lachen.
    »Ich war droben und hab den Wolf getötet«, hatte sie geflüstert.

FÜNF
    Rico Stahl holte vier DIN-A 5-Blätter aus dem Drucker. Er
warf einen kurzen Blick darauf und ließ sie ungelesen sinken. Stattdessen sah
er aus dem Fenster. Der Blick aus dem Gebäude des Polizeipräsidiums hinaus war
um Welten attraktiver als der Blick von außen auf das Gebäude.
    Der Tag endete wieder wie der letzte und der vorletzte – mit
spektakulär untergehender Sonne.
    Abendlicht spiegelte sich in den Autodächern drüben auf dem
Loreto-Parkplatz, zitternde Sonnenstrahlen durchstießen wie Degenstiche die
Ahornbäume entlang der Straße, blutrote Kumuluswolken darüber, im Hintergrund
die Alpenkette mit ihren grauen Steilhängen und Zacken. Wie auf einem Gemälde
von Alfons Wegner.
    Ein Wetter, wie man es droben auf der Grabmoosalm wahrscheinlich
seit Menschengedenken nicht erlebt hatte. Zumindest, seit die Papierfabrik in
Betrieb war.
    Seltsam, sagte sich Rico Stahl zum wiederholten Mal. Seltsam, die
Gschicht dort droben.
    »Wo bleibt das Ergebnis?«, rief er laut ins Telefon. Wenn der Chef
der Mordkommission spricht, spuren die Leute gewöhnlich.
    »Moment. Kommt schon.« Kurze Pause. Papierrascheln. »Kein Hinweis
auf eine andere Version als die, die Ihnen geschildert worden ist. Seltsam nur,
dass null Abdrücke an der Waffe waren. Als wenn der Schaft und der Abzug
abgewischt worden wären. Alles jungfräulich. Dabei ist die Waffe doch bestimmt
durch einige Hände gegangen. Zumindest durch die von der Toten. Von dem Hund
waren leider keine Abdrücke zu erwarten.«
    Der Anrufer hüstelte.
    »Moment noch, Chef. Das Altenheim von dieser Moserin, das wo Sie
wissen wollten. Das Wohnstift Grandis. Das liegt am östlichen Stadtrand.«
    Rico Stahl nickte. »Dann schaut euch einmal dieses Wohnstift an.
Verwalter. Zimmer der Moserin. Umfeld. Ihr wisst schon.«
    Immer stärker hatte er das Gefühl, droben am Tatort etwas bemerkt zu
haben, was nach einer Deutung verlangte. Er goss sich ein Glas Wasser ein und
schob die vor ihm liegenden Papiere zur Seite. Eine undeutliche Erinnerung
tauchte in seinem Kopf auf, ohne dass er sie exakt festhalten konnte. Sie hatte
mit dieser Moserin zu tun. Und mit dem Altenheim, in dem sie lebte. Dem Grandis.
    ***
    »So? Einen Durchsuchungsbefehl haben Sie nicht? Sie, das
mögen wir aber gar nicht gern, wenn die Polizei hier herumschnüffelt. Das
schafft Misstrauen unter unsren Hausgästen und verunsichert die Angehörigen.
Das war noch nie der Fall. Warten Sie, ich werd mich erkundigen.«
    Die Heimleiterin des Wohnstifts Grandis tippte eine Kurzwahl. Sie
hieß Frau Unruh, war geschätzt so alt wie die Bundeskanzlerin und ähnelte ihr
ziemlich. Immer ein vergnügtes Lächeln um die Lippen.
    Chili Toledo und ihre Kollegin von der Mordkommission sahen sich aus
dem Augenwinkel an.
    Chili trug enge Jeans, eine braune Weste über einem graugrünen Top
und die Zigeunerohrringe, die sie so liebte. Tizianfarbenes Haar ergoss sich
über die Schultern.
    »Aha!«, rief die Leiterin, beendete ihr Telefonat und wandte sich den
Besucherinnen zu. »Sie sehen, es ist

Weitere Kostenlose Bücher