Grabmoosalm (German Edition)
die geliebte Hündin war weg.
Ebenso schlimm war: Sie war allein!
Ein verzweifelter Gedanke durchzuckte sie nicht zum ersten Mal.
Anstatt die Alm abzuschließen, sich in ihr Auto zu setzen und sich
auf die Suche nach den zwei Ausreißern zu begeben, war sie unschlüssig
herumgesessen und hatte gewartet. Sie mochte einfach nicht wahrhaben, dass die
zwei verschwunden waren. Einfach so. Ohne sich abzumelden.
Deshalb sperrte sie jetzt – hoffentlich war es nicht zu spät! –
die Alm ab, setzte sich in ihr Auto und wollte gerade vom Hof fahren, als sich
von rechts, vom Forstweg ins Tal her, gluthelle Scheinwerferkegel im Wall der
dunklen Bäume verfingen. Ihr Licht durchdrang den dichten Dunst mühelos, zuckte
rauf und runter und erreichte schließlich Resis tannengrünen Subaru.
Die Resi wartete bei laufendem Motor auf dem Fahrersitz.
Mit vierzehn hatte sie zu rauchen angefangen. Zuerst nur Menthol und
nur vier, fünf Stück am Tag. Später, mit neunzehn oder zwanzig, war sie bei
täglichen fünfundzwanzig Gauloises ohne Filter angekommen. Vor zwei Jahren hatte
sie von einem Tag auf den anderen – vom Ostersonntag auf den Ostermontag,
um genau zu sein – mit dem Rauchen aufgehört. Innerhalb eines Vierteljahres
hatte sie über zehn Kilo zugenommen, die ihr aber gut standen.
Eine halb gefüllte Packung Gauloises hatte sie als Andenken im
Handschuhfach aufbewahrt.
Im Licht der Scheinwerfer hob sich die Silhouette des Almhauses mit
seinem hohen Giebel aus der Dunkelheit ringsum ab. Zum Hang hin lagen wie ein
Querschiff in der Kirche die früheren Stallungen. Die Moserin hatte sie zu
Matratzenlagern umfunktioniert. Durch das rautenförmige Fenster in der
Küchentür neben dem Gastraum schimmerte Licht. Die Resi hatte vergessen, es
auszuschalten.
»Hallo, hallo, hallo!«
Die Resi griff zum Handschuhfach.
Ein lärmendes Pack entstieg dem ankommenden Wagen, der von fern
aussah wie ein Panzer, der sich gegen das Volk richtete.
»Sind Sie die Grabmoosalmwirtin?«
Das sind Schaulustige, die etwas von Mamas Tod gehört oder gelesen
haben, dachte die Resi.
Das hatte sie schon einmal miterleben müssen, wie Menschentrauben
angekommen waren und sich überall breitgemacht hatten. Bloß nicht wieder diese
Neugierigen!
Vorsichtig, um nichts, was sie nicht sehen konnte, über den Haufen
zu fahren, gab sie Gas.
Im Mundwinkel hing die Zigarette. Nur so. Nicht angezündet.
Drüben klappten die Türen wieder zu.
In dem Auto gestikulierten Menschen.
Die Resi konnte sie verschwommen durch die Frontscheibe sehen.
Sie wusste nicht, wohin. Zu viel ging ihr durch den Kopf. Wie in
Trance fuhr sie langsam auf den schmalen Feldweg Richtung Wald.
Sie blendete auf.
Sie musste den Pfeiferl finden.
Als sie die ersten Bäume passierte, zündete sie die Zigarette an und
nahm einen tiefen Zug. Der Rauch, der durch die Lungen kroch – und aus den
Nasenlöchern wieder herausquoll –, tat gut und schmeckte unbeschreiblich.
Das dicke Paket von Geländewagen hatte sich von hinten auf wenige
Meter genähert.
Endlich fasste sie sich ein Herz, trat in die Bremsen und
beobachtete den anderen im Rückspiegel.
Es war knapp, er fuhr fast auf, aber es reichte.
Eine Sekunde später wurden beide Vordertüren des Geländeprotzes
aufgerissen. Zwei Männer sprangen heraus.
Die Resi schaltete die Scheinwerfer ein und gab wieder Gas. Dreck
spritzte nach hinten weg.
Dass ein nasser Wolf nach kaltem Menschenschweiß riecht,
überraschte ihn. Aber jetzt wusste es der Pfeiferl. Der Graue stand keine zehn
Meter entfernt vor ihnen, halb verdeckt durch einen dicken Fichtenstamm. Er
hatte Nacken und Kopf gesenkt und schaute aus böse funkelnden Augen zu ihnen
her.
Der Pfeiferl zog die Luft tief ein und legte einen Arm um Sissis
Nacken. Angst hatte er nicht vor dem Wolf, aber den Eindruck, dass Sissi ihn
plötzlich um Kopfeslänge überragte.
Sissi knurrte aus tiefer Brust. Sie hatte es ja kürzlich erst blutig
mit dem Kerl zu tun gehabt.
Bevor der Bub einen weiteren Pfiff flüstern konnte, näherte sich der
Graue Zentimeter für Zentimeter, die Augen auf den Hund geheftet.
Der hinkt ja, fiel dem Pfeiferl auf.
Die Sissi stelzte kraftvoll und ohne Furcht vorwärts.
Die Dunkelheit des Waldes hatte sich herabgesenkt. Der Aschgraue
hatte sich in einen Kohlschwarzen verwandelt, und seine Augen glühten wie das
Feuer der Hölle.
Trotzdem streckte der Pfeiferl ihm die Zunge raus, zischte und
wackelte mit den Ohren.
Drei, vier Meter waren die
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