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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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hielt
sie mit einem Band in der Farbe ihrer mandelfarbenen Augen zusammen. Ohne Band
hätte es sich über die Schultern ergossen. Darunter lugten ihre
Lieblingswaffen, wagenradgroße goldene Zigeunerohrringe, hervor.
    Chili war die Tochter von Ottakrings viel zu früh verstorbenem
Freund Torsten Toledo, der bis zu seinem Tod Chef der Flensburger Hafenpolizei
gewesen war. Ottakring hatte sie schon als Kind gekannt. Heute war Chili gut dreißig
Jahre alt, hatte einen Hang zu Ehrgeiz, Perfektion und Eigenwilligkeit. Und ab
und zu auch Sinn für Humor.
    »Hi, Onkel Josef«, sagte sie, ohne verblüfft zu sein. Sie kaute an
einer Chilischote herum. Ihre Augen blitzten. »Warum ich hier bin? Resi, sagen
Sie’s ihm.«
    Die Resi hatte sich offenbar umgezogen. Sie trug ein mit violetten
Blumen gemustertes dunkelblaues, luftiges Kleid, das ihr bis übers Knie
reichte. Dazu stand sie strumpflos in schwarzen Haferlschuhen.
    Sie stimmte ein Klagelied an. Fast wäre sie dabei ins Heulen
gekommen. Das Leid mit der Moserin und ihrem Alzheimer (»Des is fei a Sach,
wenn man eine Großmutter ins Heim stecken muaß.«). Der Wolf im Wald, der die
Schafe riss. Der unheilvolle Tod ihrer Mutter.
    »Und jetzt no der Umstand, dass der Pfeiferl einfach abhaut. Dabei
is der doch erst neun. Und der Hund macht mit! Der haut mit ihm ab.«
    »Wer ist der Pfeiferl?«, fragte Ottakring neugierig.
    »Na, des is mei Bub, der Seppe, der durch den tödlichen Unfall die
Sprach verloren hat. Jetzt hoaßt er halt Pfeiferl. Schauen Sie amoi als kloaner
Bub zu, wie Ihre Oma … oh!«
    Die Resi bekam große Augen, schaute zuerst Chili an, dann Ottakring
und hielt sich die Hand vor den offenen Mund.
    Was ging hier vor? Ottakring entging das Zögern nicht. Für ihn stand
fest, dass Chili keinen Privatausflug gemacht hatte, sondern in dienstlichem
Interesse auf die Alm gekommen war. Jetzt wurde ihm auch klar, warum ihm das
Nummernschild bekannt vorgekommen war.
    Er gab ihr ein Zeichen.
    »Was war los?«, fragte er sie, nachdem die Resi wieder ins Haus
verschwunden war. Die Tigerdogge war ihr gefolgt, die Schnauze in ihren
Kniekehlen. »Bist du wegen des Unfalls hier, der in der Zeitung stand?«
    Chili hatte sich bei ihrem früheren Chef untergehakt. Sie waren ein
Stück Richtung Wald gegangen. Die Bäume zeichneten sich halb kahl, wie
Skelette, vor dem verhangenen Hintergrund ab. Das platt getretene Gras unter
ihnen war stumpf und tot. Ottakring stellte wieder einmal fest, dass Chili
nicht wesentlich kleiner war als er. Nach seiner Frage blieb sie stehen, hakte
sich wieder aus und sah ihn an.
    »Wie viel weißt du?«, fragte sie ihn.
    Er antwortete mit einem durchdringenden Blick. »Was sollte ich denn
wissen?«
    Sie lachte hell.
    »Das wüsste ich auch gern. Hinter was du her bist, meine ich. Es ist
doch kein Zufall, dass du hier auftauchst. Fühlst du dich als so etwas wie ein
Aufsichtsrat für deine alte Firma?«
    »Chili«, sagte er, »du weißt, dass meine Mutter Bewohnerin im
Wohnstift Grandis ist. Und mit der alten Moserin so etwas wie befreundet.
Soweit man unter solchen Umständen von Freundschaft sprechen kann. Und über die
Moserin führt der Weg auf natürliche Weise hierher zur Grabmoosalm.«
    Er schilderte ihr, wie er kurze Zeit vor dem Unglücksfall von einer
Wanderung kommend im Wirtshaus einkehren wollte und alle Beteiligten noch
lebend gesehen hatte.
    Chili schnaufte tief durch. Und dann platzte der Knoten. Der bisher
bekannte Hergang sprudelte aus ihr heraus. Die Resi habe ausgesagt, dass der
Hund unter unglücklichen Umständen die Frau erschossen habe. Dass die Moserin
es getan habe, halte sie für kaum wahrscheinlich, selbst wenn sie die
Patronenhülsen habe mitgehen lassen. Der Einzige, der sonst noch im Haus war,
war der Bub. Aber dass der Seppe seine Oma erschossen haben sollte …
    »… na siehst du. Den Fall können wir zu den Akten legen, Joe.«
    Ottakring schwieg.
    Chili setzte noch einmal an.
    »Die Tat fand um circa neunzehn Uhr dreißig statt. Du warst zwei
Stunden vorher auf der Alm und hast mit allen Beteiligten gesprochen, als sie
noch lebten. Ist dir da was aufgefallen?«
    Klar. Die Pflichtfrage aus der Polizeischule. Ist Ihnen etwas
aufgefallen?
    »Nein«, sagte er wahrheitsgemäß.
    Chili sah ihn lange an. Sie meinte, Joe Ottakring aus vielen
privaten und beruflichen Begegnungen in- und auswendig zu kennen. Die feinen
Äderchen in seinen Hängebacken traten hervor, was für Aufregung sprach. Die
Augenlider hingen schwer

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