Grabmoosalm (German Edition)
herunter, was ihm den Anschein des Undurchsichtigen
verlieh. Das alles kannte sie.
Sie waren einem versandeten Feldweg gefolgt, der zum Wald führte und
kurz vor den ersten Bäumen an einer Mauer endete. Die Mauer war aus
unregelmäßigen Bibersteinen gebaut, einem Nagelfluhgestein von einem Berg der
Gegend. In den Mauerritzen hatte die Feuchtigkeit der Luft und des Regens
winzige Pflanzen wachsen lassen.
Hier wendeten sie und gingen zurück zum Almanwesen. Chili hängte
sich wieder ein. Bevor sie jedoch weitere Fragen stellen konnte, hörte sie ein
Handy klingeln. Es war nicht ihr eigenes. Es musste seines sein. Doch er machte
keine Anstalten, das Gespräch anzunehmen.
Sie entzog ihm ihren Arm. »He, dein Handy. Willst du nicht
rangehen?«
»Oh!«
Als ob er aus Gedanken erwachte. Er fummelte in der Seitentasche
herum, klappte das Telefon auf und prüfte das Display.
»Hallo?«
Seine Miene erstarrte. Er hörte nur hin. Er sprach kein Wort. Alle
Farbe wich aus seinem Gesicht.
»Verstanden«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich komme sofort.«
ACHT
Rico Stahl saß seit zehn Minuten ausgeruht und
geschniegelt wieder im Büro, als Chili Toledo anrief.
»Haben Sie ein paar Minuten Zeit, Chef?«
»Worum geht’s? Urlaubswünsche? Wollen Sie sich den Beschwerden übers
Kantinenessen anschließen? Haben Sie einen Ohrring verloren?«
Er hörte ein Kichern am anderen Ende.
»Immer gut gelaunt, Chef, was? Welche Krawatte haben Sie heute an?
Eine geschmacklose gelbe oder eine hässliche gepunktete?
»Kommen Sie her, dann werden Sie’s sehen.«
Als sie nach leisem Anklopfen die Tür zu seinem
Dienstzimmer zügig öffnete, war Rico Stahl bereits genervt. Genervt vom
lauwarmen Kaffee. Genervt von diesem jungen Schnösel von Staatsanwalt. Genervt,
weil der Richter erst nach Tagen reagiert hatte. Genervt, weil er Toledos
kurzfristigem Terminwunsch zugestimmt hatte, obwohl er seine Leute angewiesen
hatte …
Doch diese Frau, die hatte etwas, was seine Nerven durchaus wieder
beruhigen konnte.
»Hallo, Chef.«
Er schwieg und legte die Stirn in Falten.
»Die ist ja heute mal nicht hässlich«, sagte sie.
»Was? Was ist nicht …?«
»Die Krawatte. Sie hat Streifen. Und sie ist nicht gelb. Sehr
geschmackvoll.«
Rico war aufgestanden, als Chili eintrat. Er hatte Manieren.
»Bitte.«
Er wies auf den harten Stuhl gegenüber, ohne ihr die Hand zu
reichen. Dann ließ er sich wieder in seinen Chefsessel mit meerblauem
Stoffbezug sinken. Der Sessel hatte sanft aufsteigende Armlehnen, einen
stützenden Rücken und stand auf einem filigranen Metallfußkreuz. Schaukeln war
nicht möglich.
»Sie wissen, worum’s mir geht«, begann sie. »Die Gschicht mit der
Grabmoosalm. Ich hab zufällig den Kriminalrat Ottakring getroffen. Der war zwei
Stunden vor dem Ereignis dort gewesen.«
»Um halb sechs also«, warf Rico ein.
»Um halb sechs, genau. Er kann sich an die Zeit erinnern, weil er
von einer Wanderung zurückkam. Er wollte in der Grabmoosalm einkehren. Und er
hat alle Beteiligten quietschlebendig gesehen. Alles war in Ordnung –
außer einer kleinen Rangelei um eine Waffe vielleicht.«
»Rangelei? Wer gegen wen?«
»Gute Frage. Die Wirtin – also das spätere Opfer – war,
wie wir bereits wissen, von der Jagd auf diesen geheimnisvollen Wolf
zurückgekommen. Irgendwie muss dann die Moserin – also die Demente aus dem
Grandis – an die Waffe geraten sein und wollte unbedingt den Wolf
erschießen. Ottakring vermutet, sie hat den Hund für einen Wolf gehalten. Eine
riesige Tigerdogge, wissen Sie.«
Rico hob die Hand.
»Blöde Sache. Wie hat sich Herr Ottakring verhalten?«
»Vorbildlich. Er hat ihr die Waffe entrissen.«
Rico schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Na gut. Ist dieses Zusammentreffen
von Bedeutung? Die Aussage lautet doch, dass der Hund …«
»… den Schuss ausgelöst hat? Das hat sich erst zwei Stunden
später abgespielt.«
Rico legte beide Arme auf die Lehnen, beugte sich zurück und
verfolgte interessiert das Krabbeln einer Fliege an der Decke.
»Frau Toledo«, sagte er trocken. Er sprach langsam und gedehnt.
»Weshalb sind Sie eigentlich hier?«
Er wartete.
Sie setzte eine skeptische Miene auf.
In die Pause hinein schellte das schwarze Mobiltelefon auf dem
Schreibtisch. Als ob ihn das Geräusch umgehend von einer Last befreite,
schnellte Rico nach vorn.
»Ja!«, bellte er in den Apparat.
Er hob die Augenbrauen. »Ja, gut. Reden Sie.«
»Wir haben eine Tote gefunden«, hörte
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