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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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Nein,
nein, Sie müssen schon in den sauren Apfel beißen.«
    Verstohlen sah er seine Kollegin von der Seite an. Rico konnte ein
höllisches Vergnügen daraus ziehen, Menschen in verfänglichen Situationen zu
beobachten. Mit der schmalen Nase, auffallend gefärbtem Haar, den Mandelaugen,
ihren Zigeunerohrringen und dem Schmollmund sah sie als Frau zum Anbeißen
aus. Wenn er ein Nachtschwärmer wäre und kein Polizist … doch er hatte ja
Jannat, seine schöne Perserin.
    »Ich hab Sie nicht gefragt, wo ich reinbeißen soll«, legte Chili nach.
    Er drehte sich weg und blickte aus dem Fenster. »Ich weiß«, sagte er
ohne zu zögern. »Aber das ist die Antwort, die Sie bekommen haben.«

SECHS
    Alles, was Joe Ottakring über die Krankheit finden konnte,
nahm er mit. Er las Bücher und Broschüren, durchforstete das Internet, lieh
sich von einem befreundeten Endokrinologen das Deutsche Ärzteblatt aus und
besorgte sich Fachzeitschriften.
    Seit einer Stunde saß er auf seiner Couch im Wohnzimmer und las in
einer Broschüre. »Die Alzheimer-Krankheit und andere Demenzen« hatte er sich
bei der Alzheimer-Forschung Initiative e.   V. bestellt. Vieles von dem, was
er bei seiner Mutter festgestellt und erlebt hatte, war nun erklärbarer
geworden. Der Abbau ihrer Gehirnleistung, der Verlust des
Kurzzeitgedächtnisses, sogar des Erkennens, ihre grundlose Aggressivität. All
das würde sich nie mehr regenerieren.
    Alzheimer war aktuell unheilbar.
    Das letzte Erlebnis mit ihr im Grandis war ein Schock für ihn gewesen.
Sie hatte ihn für ihren eigenen Vater gehalten. Unvorstellbar, wenn er es nicht
selbst erlebt hätte. Er hatte sogar darüber nachgedacht, was er wohl tun würde,
wenn sich herausstellte, dass seine Mutter die Heimleiterin umgebracht hatte.
Er traute es ihr nie im Leben zu. Doch was hieß das schon? Jeder konnte morden.
Auch seine Mutter, wenn die Umstände danach waren.
    Er hatte mit Lola darüber gesprochen. Selbst am Telefon bekam er
mit, wie sie ungläubig den Kopf schüttelte.
    Lolas Knöchel war nach dem Sportunfall nur angeknackst, nicht
gebrochen. Trotzdem, behauptete sie, habe der finnische Arzt ihr Reiseverbot
erteilt. Dieser Umstand machte ihm noch mehr zu schaffen als die Sorge um seine
Mutter.
    Wer einmal Untreue erlebt hat, kommt nie mehr davon los. Die Bilder
von Malta, als sie ihn belogen hatte. Einen Stadtbummel durch Valletta hatte
sie machen wollen. Stattdessen entdeckte er sie mit einem ihrer Vorgesetzten
vom Sender im Restaurant. Dieses Erlebnis und die Geständnisse danach hätten
Joe und Lola fast ihre Ehe gekostet. In Malta war er ihr noch räumlich nahe
gewesen. Aber jetzt in Finnland?
    Tiefer Zweifel bohrte sich wie ein Dorn in sein Herz. Er zwang sich
zu klarem Denken und zum Blick fürs Wesentliche. Und das war momentan die
Mutter, auch wenn er ihr nie nahegestanden hatte.
    »Die Patienten gehen an das, was sie sehen, heran«, las er in der
Broschüre, »als handle es sich um abstrakte Puzzles oder Tests. Sie betrachten
sie nicht, sie haben keinen Bezug zu ihnen.«
    Er hatte ein flaues Gefühl im Magen, als ob ihm langsam schlecht würde.
Seine Schultern waren vom Sitzen verkrampft, der Rücken schmerzte. Er stand auf
und stellte sich unter die Dusche. Obwohl heißes Wasser auf ihn
herniederprasselte, hatte er einen klebrigen Pfropfen in der Brust. Er atmete
schwer.
    Erst als sein Körper vom dampfenden Wasser gerötet war, stieg er aus
der Kabine, frottierte sich ab, schlüpfte in den flauschigen schwarzen
Bademantel und schenkte sich in der Küche ein Weißbier ein. Früher, als sie
hergezogen waren, war er immer zum »Schmiedwirt« gegangen. Aber mittlerweile
lagerte er Weißbier in Flaschen auch daheim wie einen kleinen Schatz.
    Er schlüpfte in Jeans und zog ein Leinensakko mit einem britischen
Glencheck-Muster und zwei Rückenschlitzen an. Früher, in seiner aktiven Zeit,
hatte Kriminalrat Joe Ottakring es stets an Eleganz vermissen lassen. Er war
herumgelaufen wie die, die er jagte. Doch jetzt im Ruhestand gefiel er sich
darin, sich gut zu kleiden. Wenigstens ab und zu. Dass Lola darauf gedrungen
hatte, mochte eine Rolle gespielt haben. Dieses Glencheck-Sakko aus der
britischen Nobel-Boutique in der Münchener Maximilianstraße hatte es ihm
besonders angetan.
    Bei gleißendem Sonnenschein lenkte er den Porsche aus der Garage. In
Reischenhart fuhr er auf die A93 und bog nach wenigen Kilometern am
Inntaldreieck auf die A8 Richtung Salzburg ein. Er nahm die Ausfahrt
Rosenheim und

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