Grabmoosalm (German Edition)
oder ihm ein Theater vorspielte. Auch das hatte er alles schon
erlebt.
In Ricos Kopf bestand kaum mehr ein Zweifel, in welcher Umgebung
Gülsüm Hastemirs Mörder zu suchen war.
Er musste Chili Toledo informieren.
Sie war derselben Meinung.
Chili brachte neue Nachrichten vom Wohnstift Grandis mit.
»Was diese Schwester mit der Leiche angestellt hat«, sagte sie, »ist
natürlich idiotisch. Sie hat sie wie zu einer Bestattung aufgebahrt. Wie kann
man nur so blöd sein.«
»Weltfremd«, ergänzte Rico.
»Aber schon in einem Ausmaß, dass es an Absicht grenzt.«
»Sie meinen, um Spuren zu verwischen?«
Chili klimperte mit den Ohrringen. »Na klar. Wer sagt denn, dass sie
es nicht selber war?«
Sie befanden sich in Chilis Dienstzimmer. Der Verkehrslärm der
Kaiserstraße rauschte zum geöffneten Fenster herein. Chili hatte sich ans
Fenstersims gelehnt, Rico Stahl saß knapp drei Meter entfernt mit einer Pobacke
auf der Schreibtischplatte.
»Das ist das Problem«, fuhr Chili fort. »Ich habe einige Bewohner
des Grandis befragt. Nur solche im normalen Wohnheim natürlich. Einstimmig ist
zu hören, dass die Unruh und Schwester Clara öfters Streit hatten. Lautstarken
Streit sogar.«
Rico runzelte die Stirn. »Haben die beiden sich schon gekannt, bevor
die Unruh, äh, Schwester Veneranda, Heimleiterin im Grandis wurde?«
»Schwester Clara sagt Nein. Wir sind dabei, es zu überprüfen. Was
wir allerdings bereits kontrolliert haben, ist die Aussage der Frau Unruh
Ottakring gegenüber. Alles, was mit ihrer früheren Tätigkeit als Schwester
Veneranda zusammenhängt. Sie hat die Wahrheit gesagt.«
Rico Stahl hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Aus seinen
Augen schoss er Pfeile auf Chili ab.
»Ich hör immer ›überprüfen‹, ›kontrollieren‹ und dass Sie noch nicht
so weit sind. Ja Himmelherrgott, was ist denn eigentlich mit der
Spurensicherung los? Die sollten mich verständigen. Bis heute hab ich nichts
gehört. Wie weit ist die Obduktion? Schlafen die alle oder was? Der Frau wurde
die Gurgel durchgeschnitten, da fließt literweise Blut. Das muss doch irgendwo
hingeflossen sein. Unmöglich, dass die Spusi da noch kein Ergebnis hat.«
Er entfaltete die Arme wieder und stützte sich mit den Handflächen
auf der Tischplatte ab. Dann sah er Chili direkt in die Augen. Sie wandte den
Blick nicht ab.
»Haben Sie denn wenigstens die Schwester Clara schon vernommen, Frau
Toledo?«
Ihren Mund umflog ein schmales Lächeln. »Noch nicht im Präsidium,
nein. Aber ich saß ihr im Beisein der Toten gegenüber. Ihr Leben ist bisher in
den geregelten Bahnen einer Ordensschwester verlaufen. Was sie mit der Leiche
getan hat, war nach meiner Einschätzung pure Naivität.«
»Sie widersprechen sich. Vorhin haben Sie noch gesagt, dass Sie sie
als Mörderin nicht ausschließen.«
Chili hob die Hände. »Ja mei«, meinte sie. »Was lässt sich in einem
Mordfall schon ausschließen.«
Rico wurde lockerer. »Wo wurde die Tote eigentlich gefunden?«,
fragte er etwas ruhiger.
Chili breitete die Arme aus. »In ihrem Dienstzimmer. Im Büro der
Heimleiterin. Schwester Clara musste nicht allzu viel Kraft aufwenden, die
zierliche Figur zu heben, zu drehen und zu bearbeiten.«
»Und? Jede Menge Blut an ihrer Kleidung?«
»Kluge Frau, die Schwester. Sie hat eine Gummischürze übergezogen.
Die Spusi hat sie sichergestellt. DNA ist in
Arbeit, dauert halt ein bisschen, trotz Eilantrag.«
Sie hatte einen beruhigenden Einfluss auf ihn. Werde ich älter,
fragte er sich, dass ich unter Zeitdruck die Nerven verliere?
Als Rico sich wieder beruhigt hatte, informierte er Chili über den
Fortgang im Fall Hastemir. Den Miniurlaub im Anschluss an das kommende
Wochenende, den sie eingeplant hatte, bat er sie zu verschieben.
»Wir haben zwei Fälle gleichzeitig. Die müssen vom Tisch. Die Presse
wird bald wieder den Zeigefinger heben, und dann kommt auch der Präsident nicht
aus und wird Druck machen.«
Chili lief rot an und musterte ihn kritisch.
»Haben Sie das Alibi von Herrn Ottakring schon überprüft?«, fragte
er.
Doch bevor sie etwas sagen konnte, meldete sich sein Handy mit drei
Tönen. Eine SMS .
»Bericht an Sie gefaxt.«
Rico musste grinsen. Wenn man an den Teufel denkt …
»Na bitte«, sagte Chili leise. Ihre Gesichtsfarbe hatte sich wieder
normalisiert. »Dann kann ich ja doch den Urlaub nehmen.«
Rico wollte schon aufbrausen, beherrschte sich aber. »In der SMS werden bestimmt nicht die Täter entlarvt.
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