Grabmoosalm (German Edition)
gewesen, die den Adlmayer vorgeschickt hatte. Nicht dass
dieser Polizist, der Sohn von der Gretl, noch Unfug trieb mit ihrem Zimmer. Sie
hatte schließlich mehr als nur das eine Geheimnis.
Das andere Geheimnis teilte sie mit der Resi. Doch auch die Resi
machte ihr Sorgen. Die Resi war die einzige Zeugin – wenn man vom Seppe
absah –, und die Moserin hatte beim letzten Besuch ihrer Enkelin den
Eindruck gewonnen, dass die Resi ein schlechtes Gewissen hatte. Jedenfalls
hatte sie das behauptet. Sie hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, zur Polizei
zu gehen. Aber was wollte die Resi dort bei der Polizei? Sie kam ums Verrecken
nicht drauf.
Zur Polizei gehen. Zur Polizei gehen. Die ganze vergangene Nacht
hatte sie sich den Kopf zerbrochen und überlegt, was die Resi gemeint haben
könnte. War es eine Drohung gewesen? Warum sollte ihr die Resi drohen? Und
womit? Mit der Polizei? Aber warum?
Manchmal litt die Moserin unter ihren Aussetzern. Es war ihr vollkommen
klar, dass sie regelmäßig Gedächtnislücken hatte. Deswegen hatte man sie auch
im Dings … im Dings … in diesem Haus hier abgeliefert. Vor allem litt
sie darunter, dass sie ihnen so hilflos ausgeliefert war. Wenn sie vor dem
Lichtschalter stand und nicht wusste, warum sie da stand und was sie mit dem
Dings … dem weißen Dings da anfangen wollte. Und vor allem, weil ihr oft
die Bezeichnungen und Namen nicht einfielen.
Oder wenn sie den Klodeckel hochklappte und nach der Seife suchte,
um sich die Hände zu waschen.
Sie stand dann da und rührte sich nicht, und ihr Hirn kam ihr vor
wie eine leere, zerfaserte Wolke. Weil ihr das bewusst war, litt sie darunter.
Es schmerzte. Es tat richtig weh. Wäre es ihr nicht bewusst gewesen, hätt’s
nicht wehgetan.
Oft hätte sie am liebsten ihr Gehirn gepackt und ihm nachhelfen
wollen. Irgendwie. So wie sie Massagen kriegte gegen die Rückenschmerzen und
Tabletten gegen den Zucker. Auf der anderen Seite war sie keine, die Tatsachen
gern ins Auge blickte.
Ein Leben, wie sie es führte, war nur auszuhalten, wenn man gelernt
hatte, zu lügen, sich zu verstellen und zu verdrängen. Von klein auf.
Sie kam und kam nicht drauf. Was die Resi von ihr gewollt hatte. Die
ganze Nacht lang war sie nicht drauf gekommen. Natürlich hatte sie nicht nur
nachgedacht.
Sie hatte auch wegen dem Adlmayer nicht schlafen können.
Etwas nachdenklich lächelte sie. »Den hab ich im Griff«, sagte sie
laut zu sich selbst und schaukelte weiter.
Durch den Türspalt konnte sie beobachten, wie der Adlmayer vor der
Schwester hertrabte, gehorsam wie ein Schulbub. Halb nackt, gebückt und mit
weichen Knien.
Der Adlmayer.
Sie wusste nicht einmal seinen Vornamen, obwohl er vergangene Nacht
wieder bei ihr im Bett gelegen hatte. Ein weiterer Grund, warum sie kein Auge
zugemacht hatte.
»So hab ich ihn im Griff«, wiederholte sie und hatte exakt vor
Augen, was sie damit meinte.
Sie konnte mit ihm planen, mit dem Adlmayer.
SIEBEN
Es hatte angefangen zu regnen, für die Jahreszeit nicht
ungewöhnlich. Und für den Schauplatz dieses Regens ebenfalls nicht. Denn schon
das ganze Jahr über zog sich regelmäßig ein sechzig bis achtzig Kilometer
breites Niederschlagsband entlang der Alpenkette von Zürich bis nach Salzburg.
Und Rosenheim lag mittendrin.
So reizvoll, einmalig und einladend das Rosenheimer Land bei schönem
Wetter sein kann – bei anhaltendem Regen ist es genau so mies und
abweisend wie die hintere Mongolei.
»Beschissen«, zischte Rico Stahl, als er von seinem Dienstschreibtisch
aus einen langen Blick aus dem Fenster warf. Alles triefte, die Bäume, die
Autos, die Passanten unten auf der Kaiserstraße.
Wieder einmal hatte er die unterste Schublade herausgezogen und
beide Füße – die in brombeerfarbenen Stiefeletten steckten –
draufgelegt.
Das Fax hielt er in beiden Händen. Es war eine Ergebnismeldung.
Sie hatten Suchhunde eingesetzt. Das führte nicht immer zum Erfolg.
Diesmal aber schon. Sie hatten die Tatwaffe gefunden. Ein Tomatenmesser!
Rico googelte »Tomatenmesser«.
Er las: »Durch die nach oben leicht spitz zulaufende Form der zwischen
zwölf und fünfzehn Zentimeter langen Stahlklinge dringt das Messer mit einem
leichten Winkel in das Schneidegut ein und verhindert so ein Zerdrücken
desselben.«
Dringt in das Schneidegut ein. Makaber. Das Schneidegut war in
diesem Fall ein weiblicher Hals gewesen.
Gestorben jedoch war Barbara Unruh nicht daran. Sie war erwürgt
worden. Von kräftigen Händen mit
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