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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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eine Direktleitung zu mir aufgebaut. Also
woher soll ich mehr wissen?«
    Seit Tagen war Chili sämtlichen Fakten im Gülsüm-Fall verbissen
nachgegangen, teils mit Rico Stahl, teils nur für sich allein. Sie und Rico
waren überzeugt, dass der Mörder oder die Mörderin innerhalb der Familie zu
suchen war. Den Vater hatten sie vernommen, den Onkel, Gülsüms Schwester Esther
noch ein zweites und drittes Mal. Sie hatte alles überdacht – Aussagen,
Fakten, Gesten, Blicke –, doch jedes Mal verklebte das negative Ergebnis
ihre Motivation wie eine Staubschicht.
    Steckt man einmal im Dreck, sinkt man immer tiefer, hatte sie sich
voller Selbstmitleid eingeredet.
    Deshalb war sie hergekommen, um Joe Ottakring, den alten Fuchs, in
ein Gespräch zu verwickeln. Irgendetwas kam dabei immer heraus.
    Sie schilderte ihm den Leichenfund auf dem Parkplatz der Papierfabrik
und den Stand der Ermittlungen. Speziell ging sie auf die Personenbeziehungen
ein. Damit konnte man Ottakring am leichtesten hellhörig machen.
    Gülsüms beste Freundin Hanife, dann Gülsüms kleine Schwester Esther,
der Onkel, bei dem Esther wohnte, Gülsüms Ehemann, der den Freitod gewählt
hatte, schließlich der Deutsche Franz Mühlhofer, verheiratet und Geliebter
Gülsüms.
    »Und Glümsüm war also frech zu ihren Angehörigen?«, fasste Ottakring
zusammen. »Der Schwester, die in Deutschland aufgewachsen ist, mag das ja
wurscht gewesen sein. Aber für einen türkischen Vater und einen Onkel mit
fundamentalistischen Grundprinzipien ist so was die Hölle. Diese Türken sind da
ja ähnlich wie wir Oberbayern. Und wie Kalmücken, Eskimos und Indianer,
vielleicht noch wie die Sizilianer. Die einzigen Bewahrer ursprünglicher Kultur
auf der Erde, von Ehre und Ansehen der Familie. Kann ich nachempfinden. Wenn
sich meine Nichte mir gegenüber so verhalten würde wie diese Sümglüm, wär ich
auch sauer. Allerdings nicht mit dieser Auswirkung und Konsequenz.« Er
schnippte mit den Fingern. »Wahrscheinlich nicht.«
    Am liebsten hätte Chili einen Freudenschrei ausgestoßen. Joe war
gedanklich eingestiegen! Nun musste sie das Beste daraus machen.
    »Auswirkung?«, fragte sie betont naiv. Denn sie ahnte natürlich, was
er meinte. »Was meinst du damit?«
    »Ähäm«, machte Ottakring und lehnte sich zurück. Es fehlte nur mehr
eine Tabakspfeife in seinem Mund. »Familienbande sind sehr eng in Anatolien.
Wenn sie verletzt werden, können diese Menschen bis zum Äußersten gehen.«
    »Du meinst also auch, dass es ein sogenannter Ehrenmord sein
könnte?«
    »Ähäm«, sagte Ottakring mit rauer Stimme und warf einen abwesenden
Blick zur Decke. »Komm doch mal her und lass dir was ins Ohr flüstern.«
    Chili staunte. Ihr Herz klopfte plötzlich schneller, als sie sich zu
ihm auf die Sessellehne setzte. Es raste, und sie meinte, ihr Brustkasten
müsste zerspringen, als sein Flüstern zu Ende war.
    Verstohlen sah sie sich um. Sie kannte Ottakrings frühere Junggesellenwohnungen,
doch in diesem Haus war sie noch nie gewesen. Die Innenausstattung zeigte, dass
eine Frau am Werk war. Blaue Wollvorhänge, farblich passende Samtkissen,
quadratische Deckchen, ein Blumenstrauß neben dem Fernseher, der allerdings
nach Wasser dürstete. Innerlich amüsierte sie sich.
    Nicht gerade typisch für diesen Charakter, sich mit weiblichem
Weihwasser besprenkeln zu lassen, dachte sie.
    »Wie geht’s deiner Mutter?«, fragte sie ihn unvermittelt.
    »Tu nicht so scheinheilig«, gab er zurück. »Sie hat die Unruh nicht
ermordet.«
    Chili war aufgestanden, holte Wasser aus der Küche und verhalf den
Blumen zur Auferstehung.
    »Ja, aber wer dann?«, fragte sie. Sie wollte noch etwas sagen, doch
er schüttelte den Kopf.
    Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs dichte Haar und vermied
es, die Ohrringe klingeln zu lassen. Rasend gern hätte sie seine Gedanken lesen
können.
    Ottakring seinerseits war in Gedanken schon wieder weit weg. Er ging
noch einmal die Besetzungsliste des Wohnstifts Grandis durch. Mit der Moserin
fing er an. Hätte er mehr von ihrem Leben gewusst oder auch nur geahnt, hätte
er Chili Toledo vernünftiger beraten können.
    ***
    »Mach auf. Mach endlich auf!«
    Es war eine herrische Stimme, die durch die dünne Türwand drang.
Eine Stimme in einem Ton, der keinen Widerstand duldete. Die Moserin war hin-
und hergerissen. Sollte sie öffnen, sollte sie nicht?
    Der Adlmayer kannte kein Pardon.
    Bis sie die Erfahrung gemacht hatte, wie zärtlich er sein konnte.
    Nun lagen

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