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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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dünnen Fingern. Mit dem Messer war der Hals
erst hinterher bearbeitet worden. Wahrscheinlich war die Frau noch warm, aber
bereits tot gewesen.
    Selbstverständlich hatte die Schwester mit der dämlichen Aufbahrung
alle wesentlichen Spuren verwischt. Sie hatte die Leiche regelrecht
präsentiert.
    Rico war noch nie gut darin gewesen, herumzusitzen, Berichte zu
lesen und Dinge langsam anzugehen. Will man den Künstler verstehen, muss man
sich sein Werk ansehen. Und das hatte Rico zur Genüge getan. Ein Foto des Werks
hing hinter ihm an seinem Blauen Brett, an dem er die Fotobeweise der aktuellen
Fälle sammelte.
    Was wollte der Mörder aussagen?
    Willst du den Fall lösen, dann suche nach dem Motiv. Welches Motiv
sollte jemand haben, der die ehrbare Leiterin eines Altenheims auf spektakuläre
Weise umbringt? Es sah nicht so aus, als wäre im Affekt gehandelt worden. Ricos
Gefühl sagte ihm, dass ein Ereignis aus der Vergangenheit eine Rolle gespielt
haben könnte, das in die Gegenwart hineinragte. Oder mehrere Ereignisse.
    Barbara Unruh hatte ein Leben vor diesem Leben geführt. Sie war
Schwester Veneranda gewesen und aus irgendeinem Grund daran gescheitert. Fest
stand, dass sie Joe Ottakring betreut hatte, als der mit einem Bauchschuss in
der Klinik lag. In der Maria-Theresia-Klinik in München. War es möglich, dass
man über Joe Ottakring an den Schlüssel kam?
    Warum, fiel ihm auf, hatte er schon so lange nichts mehr von dem
Mann gehört?
    »Nein«, sagte Ottakring am Handy. »Da kann ich Ihnen auch nicht
weiterhelfen. Mich hat die Unruh erst darauf aufmerksam machen müssen, dass ich
sie kenne. Sie wissen doch, wie das so ist, wenn man im Krankenhaus liegt. Man
nimmt höchstens noch wahr, dass einem geholfen wird. Dass man sein Essen
bekommt, die Schmerztabletten gebracht werden und das Bett durchgeschüttelt
wird. Wer hinter der weißen Uniform derer steckt, die das für einen tun, bleibt
meist verborgen.«
    Nein, diese Erfahrung war Rico bisher erspart geblieben. Er unterdrückte
eine Bemerkung.
    »Ist Ihnen nichts an ihr aufgefallen?«, fragte er eindringlich. »Sie
hatten doch wegen Ihrer Mutter ständig dort zu tun.«
    Ottakring behielt seinen sonoren Gesprächston bei.
    »Wenn ich mehr wissen würde, hätte ich schon längst ein Geständnis
abgelegt«, sagte er. »Warum sollte ich es für mich behalten?«
    Während Rico Stahl sich weiter mit seinen Gedanken
beschäftigte, indem er ziellos mit Händen in den Hosentaschen durch die Stadt
streifte, erhielt Joe Ottakring den lang erhofften Anruf mit der Vorwahl 00358
aus Finnland.
    »Was ist aus dem Mord im Grandis geworden?«, fragte Lola ihn ohne
Einleitung. »Und wie geht’s deiner Mutter inzwischen?«
    Er wertete es als gutes Zeichen.
    »Was macht dein Knöchel?«, stellte er die Gegenfrage. Ihre Antwort
war ihm wichtiger als zehn Morde.
    Es folgte eine kurze Pause wie in einem Funkloch.
    »Hallo?«, setzte er nach. »Hörst du mich?«
    »Dem Knöchel geht’s gut«, hörte er.
    Wieder eine Pause. Ihm wurde heiß. Nein, nicht schon wieder! Was
wird diesmal der Grund sein, nicht zurückzukommen? Was steckte dahinter?
    »Der Knöchel ist halbwegs okay«, sagte sie. »Aber ich hab mir den
Virus eingefangen. Das wird eine Weile dauern.«
    Langsam hatte er das Gefühl, seine Lola sei nur mehr eine Frau auf
ein paar vergilbten Fotos.
    »Den Virus? Geht’s dir gut, Liebes?«
    »Kommt drauf an. Sie nennen ihn den Krankenhausvirus. Kann überall
vorkommen. Bei mir äußert es sich seit gestern durch Hautveränderungen. Ganz
gemeine Hautveränderungen.«
    »Was meinst du? Welche Veränderungen?«
    Ottakring hatte davon gehört. Ein Virus, der massiert in so gut wie
allen Kliniken vorkommen konnte. Auch in Deutschland. Aber Hautveränderungen?
    Lola schilderte ihm, dass sie an den Schenkeln und im Innenohr
offene Stellen hatte. Von einem Tag auf den anderen seien sie aufgetreten. Es
würde halt noch ein paar Tage dauern, denn mit dem Virus dürfe sie nicht
reisen, schon gleich nicht in ein anderes Land.
    »Vielleicht hat sie zu viel gewusst?«, sagte Lola scherzhaft, als
sie noch einmal auf das Thema Mord im Wohnstift zu sprechen kamen.
    Doch es war ein Ton, der in Ottakring eine Saite zum Klingen
brachte.
    »Sie wusste zu viel!«
    Daran hatte er noch nicht gedacht. Neben Hass, Habgier, Eifersucht,
Rache war das einer der häufig vorkommenden Gründe, jemanden zu töten. Über wen
oder was Barbara Unruh oder Schwester Veneranda etwas gewusst haben könnte, das
für

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