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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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sie jede Woche zwei-, dreimal in ihrem Bett, eng umschlungen,
nackt. Der Adlmayer hatte einen wundervollen Körper. Sie konnte ihn spüren,
wenn er sich von hinten an sie schmiegte oder sich von oben über ihr
entfaltete. Er grunzte wie ein Schwein, der Adlmayer. Das mochte sie. Sie lag,
wenn er die Decke hob und ins Bett schlüpfte, still und unbeteiligt da und wartete
auf das, was kam.
    Freilich, früher war sie ein scharfes Tier gewesen, aber das war
lange her.
    Danach hatte sie Jahrzehnte nichts gehabt. Nur die Eintönigkeit und
das Scheißwetter auf der Grabmoosalm. Früher – ja, das war lange her. Kein
Schwein wusste von diesem Früher. Und diejenigen, die es wussten, durften es
nicht weitergeben, dafür musste sie sorgen.
    Sie musste auch dafür sorgen, dass ihre Umgebung nichts von ihrer
Beziehung zu Adlmayer erfuhr. Das musste still und heimlich geschehen. Sie
hatte versucht, es auch ihm beizubringen. Selbst wenn er von Natur aus ein
polternder und stürmischer Mensch war.
    Über all die Jahre hatte die Moserin gelernt, die blitzartige
Geschwindigkeit, mit der Privates und Intimes, mit der Trivialitäten durch die
oberbayerische Provinz fegten, nicht zu unterschätzen.
    Da konnten in einem afrikanischen Staat zwei Millionen Kinder an
Hunger sterben oder anderswo Hunderte bei einem Terroranschlag massakriert
werden, es würde kein Hahn danach krähen. Aber hier dieses Dings … äh, das
Dings … das Haus, in dem sie lebten, war wie so eine oberbayerische
Provinz.
    Dass man sie, die alte Moserin, mit einem stämmigen Mann im Bett
oder auf der Toilette oder auf dem Flur gesehen hatte – das wäre solch
eine Nachricht, über die getuschelt oder offen geredet würde. Eine, die zu
verbreiten und auszuschmücken sich lohnte. Eine, über die man sich das Maul
zerreißen konnte. Eine Nachricht, bei der diejenigen, die sie hörten, eine vage
lustvolle Regung, wahrscheinlich die einzige des Jahres, verspürten.
    Die Annemirl hatte ihr heftige Vorwürfe deswegen gemacht. Wahrscheinlich,
weil sie Angst um ihr Erbe hatte. Als ob sie, die Moserin, einem alten Catcher
jemals die Grabmoosalm vermachen würde. Und die Unruh, diese blöde Kuh, hatte
sie bei einem Kontrollgang beide im Bett erwischt.
    Kein Wunder, dass sie es mitgekriegt hatte. Der Adlmayer hatte
geschnauft wie ein Stier – die Unruh hatte die Tür aufgerissen, der
Adlmayer das Bett zurückgeschlagen und – zack!
    Der Feinfühligste war er ja eh nicht.
    Dieses Kapitel war nun erledigt.
    Die Dings … die Dings … die Unruh konnte nicht mehr reden.
    Vielleicht war das Thema aber doch noch nicht ganz erledigt. Die
Moserin konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Es war ja möglich,
dass die Unruh diese Schwester … die Schwester mit dem langen Kleid
informiert hatte. Da war sie sich nicht sicher. Und ebenso wenig konnte sie
beurteilen, ob die Resi etwas wusste. Es hätte ja sein können, dass die
Annemirl, bevor sie starb … Und die Resi vielleicht den … den …
ihren Buben. Aber so weit wollte sie nicht gehen.
    Wenn’s nicht sein musste.
    Sie wunderte sich, wie sie sich an manche Dinge erinnern konnte und
an manche nicht.
    »Ich möchte tanzen«, sagte sie zum Adlmayer.
    »Tanzen?«
    Sie nickte. »Tanzen.«
    Die Moserin war alt. Aber sie hatte kein Doppelkinn, das beim Nicken
wackelte. Das freute sie jedes Mal.
    Deshalb nickte sie jetzt.
    Ans Tanzen konnte sie sich zum Beispiel erinnern. Walzer. Foxtrott.
Faststep. Jitterbug – nein, den hatte sie nie gekonnt.
    Aber den langsamen Straßentango, den konnte sie hören, weit, weit
weg. Auf einem alten Akkordeon. Den hatte sie am liebsten gemocht damals. Sie
summte ihn. Zuerst leise, in der nächsten halben Minute lauter.
    Er schien die Melodie zu kennen. Er fletschte die Zähne, was bei ihm
ein Zeichen guter Laune war, und hörte zu, bis ihm kein Weg mehr blieb als der
hin zur Moserin.
    »Nicht, dass ich ein großer Tänzer wäre«, sagte er und sah sich um.
»Aber wenn du Lust hast – ich zieh auch meine Schuhe aus. Ich denke, hier
für dein Schlafzimmer wird’s wohl reichen.«
    Die Moserin errötete ein wenig.
    »Ausgezeichnet. Ich tanze auch nicht gerade viel. Vor allem keinen
Tango mehr. Früher, das kannst mir glauben, hab ich viel getanzt, und nicht nur
an Silvester.«
    Der Adlmayer fuhr sich über die Glatze, zog eine Grimasse, und sie
bewegten sich aufeinander zu.
    Die Moserin summte noch immer. Es war nicht unbedingt die Melodie,
die sie meinte, denn die hatte sie

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