Grabmoosalm (German Edition)
Oder beides?«
Esther holte tief Luft.
»Nur Frauen. Es waren drei. Eine alte, eine mittelalte, eine junge.
Die junge war die da.« Sie deutete auf die Resi. »Ich hatte mir vorgestellt,
dass es Großmutter, Mutter und Tochter sein könnten. Später hab ich das in der Zeitung
bestätigt gefunden. Und nachher kam auch noch ein Bub. Vom Alter her könnte es
der da gewesen sein.« Sie richtete einen Finger auf den Seppe.
»Gut, gut.« Rico wurde ungeduldig.
Auch Ottakring scharrte bereits mit den Hufen.
»Was ist dann da drin passiert? Was haben Sie gesehen?«
Wieder wollte Esther Luft holen. Doch es misslang. Ein schrecklicher,
wimmernder Laut löste sich aus der Tiefe ihrer Brust.
Es war ein Laut, bei dem die Dogge die Ohren aufstellte.
Esther schlug die Hände vors Gesicht. »Es war noch schlimmer als
vorher mit Gülsüm. Die alte Frau hatte ein Gewehr in der Hand, zielte und
schoss der mittelalten mitten ins Gesicht. O nein!«
Rico umfasste ihren Unterarm und stützte sie.
»Blut spritzte. Unglaublich viel Blut kam aus ihrem Mund. Oder wo
vorher der Mund gewesen war. Die Frau fiel über den Tisch …«
Sissi hatte sich von Ottakring gelöst und bellte laut. Es war ein
tiefes, wütendes Bellen. Dann raste sie auf die Einfahrt zu.
Kies spritzte, Reifen knirschten. Ein Wagen mit Sportwagensound
hielt.
»Bella!«, war eine dröhnende Männerstimme zu hören. »Arabella! Wo
ist meine Tochter?«
Ottakring, als ob er diesen Besuch erwartet hätte, war ins Haus
geeilt und kam mit Bella an der Hand wieder heraus.
Olaf Döring, mit Sonnenbrille modisch auf dem nach hinten gegelten
Haar, trabte mit ausgestreckten Armen auf das Haus, auf Ottakring und seine
Tochter zu. Tränen standen in seinen Augen.
Chili Toledo hatte zur selben Zeit die vorgeschriebene
Höchstgeschwindigkeit um das Dreifache überschritten und war den Berg zur
Grabmoosalm heraufgebrettert.
Fast hätte sie Döring über den Haufen gefahren.
Nun sprang sie aus dem Wagen. Mit wogendem Haarschopf joggte sie auf
Rico zu. Sie sah an ihm herauf und herunter und rief: »Das hat doch etwas zu
bedeuten, dass Sie wieder Anzug und Krawatte tragen, oder?«
Rico kam nicht zu einer Antwort.
Er stand im Weg.
Olaf Döring rannte ihn um, bevor er seine Arabella in die Arme
schloss.
Rico stand gerade wieder auf, als er Chili lachend rufen
hörte: »Und wissen Sie, was wir noch gefunden haben? Einen ganzen Sack voller
Fachmaterial über die Alzheimer-Krankheit. Die Moserin muss sich damit
schlaugemacht haben.«
***
Solch eine Inszenierung hatte der Kriminalrat Joe
Ottakring in seiner langen Berufslaufbahn nie erlebt. Alles passte zusammen.
Unglaublich.
Er war davon so überwältigt, dass er Lola anrufen wollte, um es ihr
mitzuteilen. Er ließ ihr Handy lange klingeln. Doch nicht einmal die Mailbox
bekam er zu hören.
SIEBEN
Während die Fahndung nach Cilly Moser und dem Polizeiauto
auf Hochtouren lief und Olaf Döring seine Tochter auf den sumpfigen Almwiesen
spazieren führte, saßen sich die weiteren Beteiligten in der Wirtsstube
gegenüber.
»Wer ist nun eigentlich Ihr leiblicher Vater?«, fragte Rico Stahl.
»Als Gülsüms wirklicher Vater hat sich Cem Hastemir herausgestellt. Mehmet
hatte nur vorgegeben, ihr Vater zu sein.«
Esther nickte kaum merkbar. Alle Selbstsicherheit war von ihr
abgetropft.
»Ja«, sagte sie. »Mehmet ist mein Vater. Und er war es auch, der
Gülsüm getötet hat. Aber Onkel Cem hat ihn mehr oder weniger dazu getrieben. Er
als Vater hatte große Hemmungen, seine eigene Tochter umzubringen. Doch die
Ehre der Familie musste gerettet werden. Also erhielt Gülsüms Onkel die
Aufgabe.«
Wieder standen Tränen in Esthers Augen. Sie brauchte eine Pause.
Wie ehrlich ist diese Frau wirklich?, musste Rico denken.
Diese Frage schien auch Joe Ottakring zu beschäftigen. Zweifel
sprachen aus seiner Miene.
Er beugte sich zu Chili, die ihm etwas zuflüsterte.
»Na, dann ist ja alles klar«, gab er leise zurück.
Esther hatte sich wieder gefangen.
»Hakan Oben war übrigens auch dabei, als der Körper … der
Leichnam weggeschafft wurde.«
»Und Sie? Waren Sie nur danebengestanden und haben zugesehen?«,
fragte Rico bestimmt.
Wieder nickte Esther unmerklich. »Ja. Sie wollten mich dabeihaben.
Sozusagen als Warnung. Damit ich nicht auch auf die schiefe Bahn gerate.«
Rico gab sich einen Ruck. »Gut. Danke für diese erste Aussage. Herr
Ottakring und Frau Toledo haben mitgehört. Das Übrige werden wir im
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