Grabmoosalm (German Edition)
befinden?«, fragte die 112.
»Nicht genau«, sagte sie schwer atmend. »Rosenheim. Münchener Straße
irgendwo. Richtung Innenstadt. Bitte helfen Sie uns. Meine kleine Tochter
weint. Sie hat Schmerzen.«
Sie bog von der Münchener Straße ab und machte einen gewaltigen
Umweg Richtung Bahnhof.
Die Polizeifahrzeuge mit Blaulicht, die ihr entgegengerast kamen,
begrüßte sie mit fröhlichem Blinken.
Sie lenkte das Fahrzeug auf den großflächigen Pendlerparkplatz am
Bahnhof vor den Gleisen und stellte es zwischen den Autos ab.
Nach wenigen Metern war sie am Taxistand.
»Mich ausschmieren«, sagte sie leise vor sich hin. »Nein, nicht mit
mir.« Sie machte die Tür des ersten Taxis auf.
»Zum Bahnhof bitte«, sagte sie und schwang ihre lange, abgemagerte
Gestalt auf den Beifahrersitz.
***
Das komme öfters vor, sagte der Taxifahrer, ein Deutscher
türkischer Herkunft, wenig später aus, dass jemand solche Scherze mache.
»Ist sogar ein alter Hut.«
Aber in diesem Fall habe er einen anderen Eindruck gehabt.
»Die Frau hat das gemeint, was sie gesagt hat. ›Zum Bahnhof bitte‹.
Sie schien nicht gewusst zu haben, dass sie schon dort angekommen war.«
Er war erschüttert zu hören, was geschehen war.
Kurz vor Großkarolinenfeld hatte der Zug plötzlich
gestoppt. »Plötzlich« bedeutete nach mehreren hundert Metern.
»Personenschaden«, hieß die Durchsage.
Nach vorläufigen Angaben der Bundespolizei handelte es sich um eine
weibliche Person, sechzig bis achtzig Jahre alt, sehr schlank, keine weiteren
Merkmale.
Das einzig Auffällige: Ihre Hand umklammerte selbst im Tod noch ein
olivgrünes Handy.
Hannsdieter Loy
ROSENMÖRDER
Oberbayern Krimi
ISBN 978-3-86358-198-5
»Loy versteht es, seinen Figuren dank der
authentischen Erzählweise gekonnt Leben einzuhauchen und diese so zu Individuen
des täglichen Lebens werden zu lassen. Seine Sprache ist direkt und
konfrontiert den Leser unvermittelt mit aufwühlenden Geschehnissen, die Neugier
und Lust auf mehr erzeugen.«
Oberbayerisches Volksblatt
Leseprobe zu Hannsdieter Loy,
ROSENMÖRDER
:
Teil 1
Die Bedrohung
Chili
Ich war ins Rosenheimer Klinikum gekommen, um zu sterben.
Kemal war sofort tot gewesen. Kemal Hastemir vom
K4,
Drogen. Kemal hatte mich schon dreimal zum Essen eingeladen. Das letzte Mal zu
seinem Lieblingstürken zwei Tage vor Ottakrings Hochzeit. Hatte ich mich da in
Kemal verliebt? Ich weiß es nicht mehr. Der Schmerz über seinen Tod hat sich
wie ein Dolch in mein Herz gebohrt. Natürlich mache ich mir heute Vorwürfe.
Hätte ich meine P7 mitgehabt, hätte ich mich wehren können. Das
gilt für Kemal natürlich in gleichem Maß. Doch wer nimmt schon auf eine
fröhliche Hochzeit die Dienstwaffe mit? Oder zieht seine schusssichere Weste
an? Wir sind nicht in Krasnodarsk, Chicago oder Neapel. Wir sind im glücklichen
Oberbayern.
Ja, fröhlich sollte es werden. Endlich hatte
Ottakring sich aufgerafft, Lola einen ernsthaften Heiratsantrag zu machen. Und
er hatte sein Versprechen gehalten. Nicht aus Mitleid, da bin ich mir sicher.
Auch wenn Lolas Augeninfektion wieder aufgekeimt ist und immer noch die Gefahr
besteht, dass sie ein Auge verliert. Die Feierlichkeit war noch in vollem Gang,
als dieser Typ vor uns stand und sofort feuerte.
Ich hab viel Blut verloren. Hässliche, rot
verschmierte Klumpen aus Stoff und Haut klebten an mir. Im ersten Moment hatte
ich keinen Schmerz gespürt, nur einen fürchterlichen Schlag. Grelle Blitze zuckten
vor meinen Augen, als ich mit dem Kopf gegen die Wand krachte. Als
Polizeibeamtin ist man auf so etwas vorbereitet. Es kann immer und überall
passieren. Offenbar selbst auf einer Hochzeit in unserem beschaulichen
Landstrich. Ottakring, der nachher mitkriegte, wie ich noch einmal die Augen
öffnete und mich wohl ziemlich neugierig umgesehen habe, hatte da schon unter
Schock gestanden.
Im Notarztwagen fuhren sie das Fenster herunter,
obwohl ich am Sauerstoff hing. Automatisch atmete ich ein und aus. Jeder
Atemzug konnte der letzte sein. Schmerz! Da war ein stumpfes Drücken in meiner
Brust. Schon da wusste ich, dass dieser Schmerz bald zu einer alles
vernichtenden, hungrigen Bestie heranwachsen und mich bei lebendigem Leib
auffressen würde. Weiß glühender Schmerz.
Schreien wollte ich. Doch ich brachte keinen Ton
über die Lippen. Mit jeder Minute auf dem Weg ins Klinikum wurde es schlimmer.
Mein Atem wurde schwächer. Ich spürte,
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