Grabmoosalm (German Edition)
ich würde sterben. Die Geräusche wurden
weniger und leiser. Töne vibrierten. Das Licht wurde weniger. Leicht wie eine
Feder nahte der Tod.
Das Licht geht wieder an. Es ist weich
und matt. Ich sehe Gegenstände. Sie sehen verwischt und unscharf aus, als ob
sie im Schatten lägen. Ein unbekanntes Gesicht taucht auf, ein weiblicher Kopf
mit üppigem Haar. Das Gesicht nimmt einen besorgten Ausdruck an, und die Stirn
über mir legt sich in harte Falten. Hände machen sich an meinem Körper zu
schaffen. Ihre Bewegungen und der Geruch verraten mir, dass ein Verband
gewechselt wird.
Sagen Sie nichts, Frau Toledo.
Der Mund der Ärztin bewegt sich. Ich sehe
blendend weiße Zahnreihen. Hören kann ich die Ärztin nicht.
Sie dürfen noch nicht reden.
Sie nimmt das Stethoskop ab, setzt sich neben
mein Bett und legt eine Hand auf meinen Arm.
Sie sind seit drei Tagen hier. Sie waren auf der
Hochzeit Ihres Chefs. Da kam einer und hat auf Sie geschossen. Sie haben Glück
gehabt. Können Sie mich verstehen? Reden Sie nicht. Zeigen Sie.
Mit den Fingern forme ich ein Okay-Zeichen. Ich
nicke schwach. Jedenfalls kommt es mir vor, als ob ich nicke. Ich hänge am
Tropf. Lebenserhaltende Flüssigkeiten. Sie haben meinen Körper bewegt und
massiert, damit die Muskeln sich nicht zurückbilden. Sie haben mich und mein
Bett sauber gehalten.
Das weiche Morgenlicht taucht das Krankenzimmer
in mattes, cremiges Weiß. Ich kann ohne Schmerzen atmen.
Sämtliche Phänomene, die sich angeblich an der
Grenze zum Tod abspielen, sind bei mir nicht eingetreten. Ich sah kein Licht am
Ende eines Tunnels. Mein Leben zog nicht wie ein Film an mir vorbei. Meine
Seele verließ auch nicht den Körper und blickte von oben auf ihn herab. Ich bin
am Leben.
Dachte ich.
Eine Sekunde später fällt das Atmen wieder
schwer. Ich lasse mich aufs Kissen zurückfallen. Die Ärztin wischt mir mit
einem Tuch übers Gesicht. Unter der Haut spüre ich Hitze, und ein kribbelndes
Gefühl kriecht mir die Arme hoch. Ich merke noch, wie der Schweiß ausbricht.
Dann spüre ich einen kurzen Nadelstich im Oberarm und falle wieder in Schlaf.
Dass es ein Gebirgsschütze gewesen sein
soll, ist mir erst später wieder eingefallen. Zunächst fehlt mir jegliche
Erinnerung daran. Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Es ging um einen
Parkplatz.
EINS
Kriminalrat Josef »Joe« Ottakring hatte eine neue
Liebhaberei für sich entdeckt: das Bügeln.
Dafür hatte er sich ein eigenes Bügelzimmer eingerichtet. Ein
Bügelbrett, ein Dampfbügeleisen, die weiße Wand, ein mannsgroßer Spiegel und
ein offenes Fenster nach Südost – das war’s. Für ihn die beste Art der
Entspannung, hatte er herausgefunden. Er konnte sich mit Herrn Huber
unterhalten, seinem Hund, der sich immer in Hörweite aufhielt. Das Tier besaß
alle Merkmale eines Berner Sennenhunds, nur war er kurzhaarig. Weiße Maske,
weiße Schuhe, weiße Schwanzspitze. Oder Ottakring legte ein Oboen- oder ein Cellokonzert
in den CD -Spieler. Jeden Tag, egal zu welcher
Zeit, bügelte er ein Hemd oder zwei, ein T-Shirt oder auch schon mal ein Top
oder eine Bluse für Lola. Die Straße, an der gewöhnlich sein Porsche parkte,
konnte er vom Bügelzimmer aus nicht einsehen.
Am Morgen des 20. September
2009, einem
Sonntag, bügelte er schon sehr früh. Draußen bogen sich im Garten zwei hohe
Thujen und eine Zypresse im sanften Wind, nach Osten hin war körniges
Morgenlicht. Ottakring dachte über sein Leben nach, das vergangene und das
künftige. Ab und zu bohrte seine Zungenspitze Reste seines Morgenmüslis aus den
Zähnen. Gedankenlos spuckte er sie auf den Boden. Sachte zischend fuhr das
Eisen über die Manschette des blauen Baumwollhemds.
Er hatte schlecht geschlafen, immer am Rand des Wachseins entlang.
Nach einem verrutschten Kuss auf Lolas Mund war er schließlich aufgestanden.
Ein schrecklich schrilles Geräusch scheuchte Ottakring vom
Bügelbrett. Metall schlug gegen Metall und machte ein langsames, grässlich
kreischendes Geräusch. Wie eine Kreissäge kurz vor dem Verenden.
Das war’s, was Ottakring hörte.
Herr Huber lag auf seinem Hundebett, ein Ohr heruntergeklappt, das
andere gespitzt. Mit dem Kreischen stellte er beide Ohren auf und klopfte mit
der Schwanzspitze ein paarmal auf den Boden. Als sein Herr aus dem Haus
spurtete, sprang er auf und folgte ihm wedelnd. Ottakring schob zwei Thujen zur
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