Grabt Opa aus - Ein rabenschwarzer Alpenkrimi
Gewässerverunreinigung?
Wenn der Maxl das noch erlebt hätte!
Der Maxl, das war natürlich Maximilian I., der den Wildsee – der 1022 erstmals erwähnt wurde und der dem Ort Seefeld vermutlich seinen Namen gab – für die Fischzucht nutzen und Neunaugen einsetzen ließ, die die Eingeborenen Lampreten nannten. Ein Lampret, das aß sich ja auch leichter als ein Neunauge. Neun Augen, bäh. Wer wollte sowas schon essen? Dessen Zeit als beliebter Speisefisch war daher auch begrenzt. Heute wurde der Wildsee als Badesee genutzt.
Alfie atmete zu heftig, als dass ihm aufgefallen wäre, wie absurd es war, ausgerechnet in einer solchen Situation den Inhalt des Faltblattes zu memorieren, das er in der Kanzlei von Anwalt Rinnerthaler durchgeblättert hatte.
Aufgrund des moorigen Charakters des Sees betrug die Sichtweite gerade mal ein bis drei Meter, die maximale Tiefe jedoch fünf Meter. Da blieben zwei Meter im Dunkeln.
Nicht wirklich ganz im Dunkeln, man konnte – weit oben – noch Tageslicht erkennen. Unten am Seegrund allerdings war es trüb.
Alfie zwang sich, ruhig zu atmen. Okay, das nannte man dann wohl „Mafiabegräbnis“ – nur mit Felsbrocken statt mit Zementfuß. Wie lange würde die Atemluft in seiner Plastiktüte voraussichtlich reichen? Er betrachtete seine Hände. Sie waren mit einem bunten Halstuch zusammengebunden, dessen Stoff sich aber offenbar dehnte, wenn er mit Wasser vollgesogen war – fast mühelos konnte Alfie es lösen.
Das änderte jedoch erstmal nichts an seinem begrenzten Sauerstoffvorrat. Er ruderte ein wenig mit den Armen und kam zu dem Schluss, dass seine Atemluft in der Klarsichttüte wohl fünf Minuten reichen würde. Diese Annahme basierte weder auf Volumenberechnungen noch auf Erfahrungswerten – sexuelle Erregung durch Asphyxie würde nie Eingang in seine To-do-Liste finden, das schwor er sich in diesem Moment. Es war einfach eine Zahl, die ihm durch den Kopf schoss. Fünf Minuten.
Von denen aber – wegen plötzlicher Schreckatmung – mindestens Sauerstoff für eine Minute und 30 Sekunden abgezogen werden musste, als Alfie sich umsah und realisierte, was ihn da im Trüben umgab.
Anfangs hatte er gedacht, irgendwas wachse da auf dem Seegrund, eine Art Algenwald oder so. Das war aber kein Reet oder Schilf – es waren tote Menschen.
Mehrheitlich Männer.
Alle mit unterschiedlich großen Felsbrocken an den Füßen und Plastiktüten über den Köpfen. Sie zeigten unterschiedliche Grade der Verwesung. Der Mann links neben ihm – weißer Leinenanzug, Lackschuhe mit weißen Gamaschen – war schon komplett skelettiert. Der Mann zu seiner Rechten schien dagegen noch vergleichsweise frisch, will heißen fleischig. Seine Plastiktüte war aufgeplatzt, ein Fisch dümpelte darin und knabberte den Toten in Augenhöhe an. So schließt sich der Kreis, hätte Alfie denken können, wenn er zum Denken noch in der Lage gewesen wäre, Neunauge frisst Augapfel.
Aber Alfie war im Panikmodus und dachte gar nichts. Dass er überhaupt noch funktionierte, hatte er angeborenen Überlebensmechanismen zu verdanken. Die schickten von irgendwoher Ein-Wort-Befehle an sein Gehirn: Bücken, Fußfesseln lösen, nach oben schwimmen, Tüte vom Kopf reißen, atmen, leben!
Allerdings geriet die Befehlskette schon bei „bücken“ ins Stocken. Alfie war nicht direkt ein Bewegungsverweigerer, aber Sport war eben nicht so seins. Da hielt er es mit Winston Churchill. Hin und wieder mit ein paar alten Klassenkameraden zum Kegeln, das war’s dann aber auch schon. Darum erwies es sich für ihn bereits als schwierig, gegen den Wasserwiderstand in der Körpermitte abzuknicken, geschweige denn geknickt zu bleiben und zu versuchen, mit bloßen Händen kunstfertig geknüpfte Knoten zu lösen. Aus einem Plastikseil geknüpfte Knoten. Plastik, das erst in 10.000 Jahren zu verrotten begann, wenn die Mörder längst selbst unter ihre Vorfahren eingegangen waren und es ihnen nichts mehr ausmachte, wenn sich die Skelette von den Felsbrocken lösten und an die Wasseroberfläche trieben.
Alfie schätzte, dass ihm noch Luft für zwei Minuten blieb.
Das war jetzt blöd.
Er sah immer noch keine Slideshow der bewegendsten Momente seines Lebens vor seinem inneren Auge, das wertete er als gutes Zeichen. Wenn ihn die Schicksalsgöttinnen wirklich jetzt und hier sterben lassen wollten, hätten sie ihm diese Bilderkaskade geschickt, war doch klar. Wusste jeder. Erst die große Rückschau, dann das Licht am Ende eines Tunnels,
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