Grace - Die Biographie
schwarzem Haarreif und Pillbox-Hut gleichkommt, mit einem Netzschleier, der über ihre Stirn und ihre Augen reicht, sowie eine weiße doppelreihige Perlenkette und weiße Ohrringe. Dazu Lippenstift, tiefroten wahrscheinlich, wie später meist auch. Dieser Habitus macht ohne Zweifel deutlich: Hier tritt eine Lady auf, eine Frau mit Stil und Klasse, mit Geschmack und Benimm. Mit ihren erst zwanzig Jahren wirkt sie in ihrer elegant-stilvollen Erscheinung deutlich erwachsener, reifer auch, als die Mehrzahl Gleichaltriger. Bereits in diesem allerersten, sehr kurzen Leinwandauftritt ist die »Marke« Grace Kelly eingeführt. Es ist ihr ureigener Stil jener zeitlosen Eleganz, den sie hier erstmals im Kino zeigt, den sie zuvor in der Zeit ihrer Broadway-Engagements, ihrer Live-Fernsehspiele, ihrer Werbeauftritte und ihrer Verpflichtungen als Model ganz allmählich erprobt hat.
Ihr zweiter Auftritt findet in einem großen, mit Bibliothek und schwerem Mobiliar ausstaffierten Raum der Anwaltskanzlei statt. Sie steht am Fenster und sieht, am Gebäude gegenüber, dem »Rodney Hotel«, wie jener Mann dort auf dem Sims steht, während sich unten eine Menschentraube angesammelt hat, die das Geschehen dort hoch oben verfolgt. Die Etage der Anwaltskanzleiliegt leicht erhöht zu jener, auf deren Sims-Umrandung Robert Cosick ausharrt. So kann Mrs. Fuller aus relativer Nähe verfolgen, was dort geschieht. Als ihr Anwalt sich an sie wendet, um ihr die Bedingungen der vorbereiteten Scheidungsformalitäten sowie des Sorgerechts für die Kinder vorzulesen, wendet sie sich in seine Richtung und sagt gedankenverloren nur »Yes?«. Es ist beinahe so, als ob das Geschehen dort drüben, die Entscheidung dieses ihr vollkommen Fremden, über sein Leben oder seinen Tod, mindestens ebenso wichtig wäre wie ihre eigene, gegen eine Fortführung ihrer Ehe. Jener Handlungsstrang um die kurz vor ihrer Scheidung stehende Mrs. Fuller hat mit dem Hauptstrang unmittelbar nichts zu tun. Vielmehr wird er als eigenständige Parallelhandlung etabliert, die, auf anderer Ebene, reflektiert, welche Entscheidungen im Leben wiederum welche Konsequenzen nach sich ziehen.
In der neunundfünfzigsten Minute schließlich trifft, mit noch mehr Verspätung, der Ehemann ein, Mr. Fuller (James Warren). Der Anwalt liest weiter vor, es geht um Einverständniserklärungen zu den Kindern, ihr Ehemann nickt nur. Auf die Frage des Anwalts »Do you have any comment?« antwortet sie schließlich: »Yes. I don’t understand it. It’s too complicated. Issue. One issue. Both issues. – You make it sound dirty! They’re children. Why don’t you say children. I don’t wanna do it anymore.« Dabei bebt Graces Stimme. Darauf springt ihr Mann beinahe von jenem Polstersessel, auf dessen Kante er nervös rauchend sitzt, und fragt sie, ob sie das wirklich meine – dass sie also die Scheidung doch nicht wolle. Und sie bejaht, meint, sie wolle nicht länger darüber nachdenken, es sei auch komplizierter, als verheiratet zu sein. »Let’s try again«, meint daraufhin Mr. Fuller zu Mrs. Fuller, und sie umarmen und halten sich, am Fenster stehend, und Grace wendet ihren Kopf mehr und mehr den Ereignissen außerhalb des Raumes zu. Dabei geht die Kamera nach einem Schnitt vom Innen ins Außen, wechselt die Seiten und zeigt nun die Umarmungsszene von außen. Im linken Bildkader stehen Grace und ihr Spielpartner, im rechten ist durch die Reflexionen in der Fensterscheibe zu sehen, was an der Häuserfront gegenüber passiert, wie sich ein Polizist an einem Seil vom Dach herabseilt, wie der Mann weiterhin auf dem Etagensims steht. Gewissermaßenspiegelt sich in Graces Gesicht das gegenüberliegende Geschehen um das Schicksal des Mannes: Beide stehen sie – sie innen, er außen – zwischen dem 15. und dem 17. Stockwerk zweier Hochhäuser in Manhattan und fragen sich, ob und wie es mit ihrem Leben weitergehen kann. Soll sie sich scheiden lassen und um die Kinder kämpfen – oder nicht? Soll der Mann auf dem Sims in die Tiefe springen und sein junges Leben beenden – oder nicht? In der letzten Viertelstunde des Films ist Grace, zusammen mit ihrem Filmehemann, für Sekunden nur, noch einmal kurz zu sehen, wie sie unten stehen, gemeinsam, Arm in Arm, in der Menschenmenge, und zur Hotelfront hochsehen.
Vierzehn Stunden markiert den ersten Kinoauftritt Grace Kellys. Der Film, der im März 1951 seine New Yorker Premiere und anschließend im April seinen US-Kinostart hat, ist an den Kinokassen ein
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