Grace & Josephine - Eingeschneit (German Edition)
Tage lang in denselben Klamotten herumlaufen müsste.
Den sehr von sich eingenommenen Herrn – aus Gründen, die sich ihr noch immer nicht auftaten – war sie Gott sei Dank endlich los, und sie hoffte, ihn nie wiedersehen zu müssen.
„Leben Sie wohl“, hatte sie ihm noch zugerufen, als sie aus dem Flieger stieg, „und bestellen Sie Ihrer Frau einen Gruß von mir!
Dann war sie schleunigst aus seiner Riech- und Sichtweite verschwunden.
Als sie auf die Armbanduhr sah, bemerkte sie mit Schrecken, dass es schon nach zwölf war. Der halbe Tag war bereits um und sie und Jo hatten nicht einmal zueinander gefunden. Um diese Uhrzeit hatten sie längst die Stadt unsicher machen wollen. Grace wäre, wäre der Flug pünktlich gestartet, bereits um 8:30 Uhr in New York und spätestens um 10 Uhr am Times Square gewesen. Jo hätte um 10:50 Uhr an der Penn Station ankommen sollen und wäre ihrerseits gegen 11 Uhr am Treffpunkt gewesen. Doch diese verflixten Verspätungen hatten all ihre Pläne über Bord geworfen. Grace war noch am Flughafen und Jo noch immer im Zug. Er war zum Glück bereits wieder losgefahren, und Jo würde wahrscheinlich sogar eher in der City ankommen als sie selbst, aber einfach alles war aus dem Ruder gelaufen. Und jetzt war nicht einmal ihr verfluchter Koffer da.
Miesgelaunt machte sie sich auf zum Info-Schalter, um sich wegen ihres offensichtlich verlorengegangenen Gepäckstücks zu erkundigen. Man wusste sofort Näheres: Ihr Koffer war leider noch in Portland, man hatte ihn versehentlich vergessen. Er würde aber nachkommen und direkt zu ihr ins Hotel gebracht werden.
Na super , dachte sie und schrieb die Adresse des Hotels auf, in dem sie sich ein Zimmer mit Jo teilte.
Das hatte sie noch nie gemacht, sich ein Zimmer mit jemandem geteilt, zumindest mit niemand anderem als ihrem Ehemann und ihrer Tochter Louise. Wie würde es sein, neben jemandem zu schlafen, den man nie zuvor gesehen hatte, neben diesem Menschen aufzuwachen mit Mundgeruch und zerzausten Haaren?
Obwohl sie eigentlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom La Guardia Airport in die City fahren wollte, entschloss sie sich jetzt doch für ein Taxi. Sie hatte genug und wollte einfach nur heil am Times Square und bei Jo ankommen.
„Keine Koffer?“, fragte der Fahrer, ein junger Mann kubanischer Abstammung.
„Nein, keine Koffer“, antwortete Grace, sagte ihm, wohin es gehen sollte und lehnte sich zurück.
Was für ein Tag! Sie war jetzt schon fix und fertig. Hoffentlich würde wenigstens der Rest dieses Samstags das werden, was sie sich von ihm versprochen hatte.
Wie sehr hatte sie ihm entgegen gefiebert. Und jetzt, da der Moment, in dem sie ihre Freundin, ihre Seelenverwandte endlich treffen sollte, so unglaublich nah vor ihr lag, überkam sie doch ein Gefühl der Angst. Was, wenn es in echt nicht so war zwischen ihr und Jo, wie sie es sich beide wünschten? Was, wenn eine unangenehme Stille herrschte und niemand wüsste, was er sagen oder wie er sich dem andern nähern sollte?
Was, wenn sie erneut so enttäuscht werden würde wie damals?
Es war noch gar nicht so lange her, da war es ihr mit jemandem ähnlich ergangen. Nicht ganz so intensiv, aber dennoch hatte sie dieser Freundin ihr Herz geschenkt. Und jene Freundin hatte es mit Füßen getreten.
Grace war der großherzigste Mensch der Welt, der niemals irgendwem Böses wollte, und konnte es sich nur so erklären, dass diese Freundin vielleicht neidisch auf sie gewesen war. Weil sie all das hatte, wovon so viele andere träumten: ein Heim, eine Familie, einen Mann, der sie vergötterte und ihren wahr gewordenen Traum – ihren eigenen kleinen Buchladen. Sie hatte ihn sich nach Jahren harter Arbeit verwirklicht und er war ihr ganzer Stolz. Grace hatte sich besonders auf
Weitere Kostenlose Bücher