Graciana - Das Rätsel der Perle
Schloss plünderten«, beantwortete Graciana Kérvens Frage. »Man musste sie nur ein wenig instand setzen und neu polieren. Die Fenster hingegen hat der Glaser für einen Zunftmeister angefertigt, der im Sommer am Fieber verstorben ist. Seine Witwe hat sich geweigert, die Summe zu bezahlen, die der Mann gefordert hat. Ich habe sie für die Hälfte bekommen, weil er am Ende froh war, sie überhaupt loszuwerden.«
»Wahrhaftig«, staunte Kérven und betrachtete die Glasbilder, die Szenen aus dem Leben des heiligen Paulus zeigten. »Du setzt mich in Erstaunen. Wie kann ich dir für all die Mühe danken?«
»Indem Ihr mir sagt, weshalb ich die Burg nicht verlassen darf?« Graciana nutzte die Gelegenheit, denn diese Frage beschäftigte sie ungemein.
»Zu deinem Schutz«, parierte Kérven geschickt. »Es ist nicht ratsam, wenn du allein unterwegs bist. Noch sind die Zeiten unsicher, und du hast am eigenen Leib erfahren, wie gefährlich die Zeiten für eine Frau sind. Ich möchte nicht, dass du in Gefahr gerätst!«
Eine ebenso logische wie freundliche Erklärung, und doch blieb ein Schatten des Zweifels. Machte er sich tatsächlich Sorgen um ihr Wohlergehen? Lag ihm etwas an ihrer Person?
»Wie kannst du es wagen, daran zu zweifeln?« Es schien, als hätte Kérven ihre Gedanken erraten. »Du hast mir gefehlt, meine Kleine!«
Graciana wich zu spät vor seiner Umarmung zurück. Oder hatte sie absichtlich gezögert, weil sie sich nach dem Kuss sehnte, den sie nun prompt erhielt? Der die Erinnerung an vertraute Zärtlichkeiten weckte und mit hungriger Leidenschaft von ihrem Mund Besitz ergriff?
Sie hatte um Stärke gebetet, sich fest vorgenommen, Kérven zu widerstehen, doch schon der erste spielerische Versuch machte alle guten Vorsätze zunichte. Sie erwiderte den Kuss in sehnsüchtiger Zärtlichkeit und schlang ihre Arme um den Hals Kérvens.
Als er sie frei gab, taumelte sie und musste sich an einem der Pfosten des Bettes festhalten. Kérven lächelte und streifte das Lager mit einem viel sagenden Blick, ehe ihm die völlige Unversehrtheit der Laken auffiel.
»Du hast noch nicht in diesen Kissen geschlafen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Graciana und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Mein Strohsack liegt in einer Kammer am Ende des Ganges.«
»Bist du närrisch, Mädchen?«, brauste Kérven auf, der ihren widerborstigen Ton sehr wohl bemerkt hatte.
»Du wirst hier in diesem Bett und bei mir schlafen, solange es mir gefällt!«
»Es gehört sich nicht!«
Graciana hatte genügend Zeit gehabt, eine Entscheidung zu fällen.
»Was kümmert’s mich!«
» Mich kümmert es«, beharrte sie leise. »Ich bin gerne bereit, Euch zu dienen, ich schulde Euch Dank. Aber ich werde es nicht als Hure tun. Man zerreißt sich ohnehin schon das Maul über mich!«
»Erwartest du vielleicht, dass ich dich zur Gemahlin nehme?« Der Gedanke kam Kérven so absurd vor, dass er in Gelächter ausbrach.
Graciana betrachtete ihn aus schmalen Augen. Hatte sie sich nicht gefragt, wie viel ihm ihr Ruf bedeuten mochte? Jetzt hatte sie seine Antwort erhalten – nichts.
»Du bist ein tüchtiges Mädchen, du bereitest mir großes Vergnügen, und das ist schon mehr, als ich je über eine andere Frau zu sagen gewusst habe«, antwortete er schließlich, als er sich wieder beruhigt hatte. »Hör aber auf, mir die Stirn zu bieten, und gib dich mit dem zufrieden, was du von mir bekommst. Sollte ich dich irgendwann fortschicken, kannst du dich darauf verlassen, dass du nicht mit leeren Händen gehen wirst.«
Er sah sie an, als erwartete er auch noch Dank für diese Ankündigung. Graciana schluckte hart, und ihre Stimme klang bitter.
»Hurenlohn!«
»Zum Henker! Willst du mich ärgern?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, nur verlassen!«
»Das verbiete ich dir, hörst du?«
»Ihr schreit ja laut genug, Seigneur!«
»Graciana!« Er versuchte es anders. »Du kannst nicht gehen, und du darfst nicht gehen. Es ist zu gefährlich!«
Graciana wusste nur, dass es gefährlich war, in seiner Nähe zu bleiben. Er hatte eine Macht über sie, die ihr tiefe Furcht einjagte. Die sie mit unsichtbaren Banden fesselte und verwandelte. Vielleicht hatte Mutter Elissa am Ende doch recht behalten? Der lasterhafte Charakter des Vaters hatte sich auf die Tochter vererbt. Nur die Mauern eines Klosters vermochten sie vor sich selbst zu schützen.
»Du musst bei mir bleiben! Schwöre, dass du bei mir bleibst!«
»Der Schwur einer Dirne,
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