Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
Vom Netzwerk:
die schnippischen Mägde hatte er bei Graciana einen Adel der Seele entdeckt, wie man ihn nicht oft fand. Sie war vielleicht keine ehrbare Frau mehr, aber ihre Tatkraft verdiente jeden Respekt.
    »Ich könnte selbst in die Stadt gehen und mit den Handwerkern sprechen ...«, schlug Graciana vor.
    »Sie werden Euch mit Sicherheit respektvoller begegnen, wenn Ihr sie in der Burg empfangt«, riet der Greis, der noch mehr als Graciana um die Gerüchte wusste, die über ihre Person umliefen.
    Der Vorfall in der Kirche hatte die junge Frau jedoch sensibel für gewisse Untertöne gemacht. Sie errötete heftig, denn sie begriff, weshalb der Burgvogt dies empfahl. Es kostete sie allen Stolz, nicht einfach auf dem Absatz kehrtzumachen und davonzulaufen. Sie wusste ja selbst, dass ihr Verhalten nicht der Moral genügte, aber deshalb war sie noch lange nicht verdorben.
    »Dann schickt bitte nach den Männern«, erwiderte sie und strich sich mit einer seltsam fahrigen Geste über die schmucklose, blaue Tunika ihres Gewandes, das sie Tag um Tag trug.
    Sie hatte nur dieses eine, und Fiacre, dem dies plötzlich auffiel, setzte eigenmächtig noch einen Tuchhändler und eine Näherin auf die Liste der Handwerker. Es konnte schließlich nicht im Sinne des Seigneurs sein, wenn seine Liebste nicht einmal ein zweites Hemd besaß.
    Die Burg, in die Kérven des Iles nach neun Tagen zurückkehrte, hatte sich aus einem trostlosen Mauergeviert in einen wohl geordneten Haushalt verwandelt. Zwar waren allenthalben noch Handwerker dabei, den früheren Glanz wieder herzustellen, aber die Standarte, die in stolzem Glanz über dem Torturm wehte, war seine eigene und leuchtete in hellen Farben. Das Burgtor stand weit offen, wurde aber korrekt bewacht.
    Stallburschen eilten über den gefegten Burghof, um sein Pferd in Empfang zu nehmen, und aus der Schmiede an der Außenmauer drang das Hämmern der Handwerker. Die Esse glühte wie ein frisch geschürtes Höllenfeuer, und ein Knecht schleppte Brennholz herbei. Aus dem Backhaus duftete es nach frischem Brot, und im Pferch bei den Ställen gackerte eine stattliche Hühnerschar. Kérven, der seinem Tross ungeduldig vorausgeritten war, sah sich zufrieden um, ehe er die blitzsauberen Stufen zur großen Halle hinaufeilte.
    Unter dem bogenförmigen Eingang blieb er stehen, als sei er unvermittelt gegen ein Hindernis gerannt. Weiß gekalkte Wände warfen das Licht zurück, auf dem polierten Kaminsims glänzten Kupferkannen und silberne Pokale. Die steinernen Quadrate des Bodens waren mit duftenden Kräutern bedeckt, und vor dem Feuer stand ein geschnitzter, hochlehniger Stuhl mit gepolsterter Sitz- und Rückenfläche. Das erste Bogenfenster war bereits wieder mit grün-weißen Glasrauten geschmückt, und am zweiten bemühten sich die Handwerker eben, die neuen Flügel einzupassen.
    Quer zur Halle stand an Stelle des verschrammten Schragentisches ein kleinerer, auf Hochglanz polierter Eichentisch mit sorgsam gedrechselten Beinen und einer Reihe von hochlehnigen Stühlen. Außerdem waren geschrubbte Holzplatten auf Holzböcke gelegt worden, damit auch das Gesinde seinen Platz fand.
    »Zum Henker!«, murmelte Kérven beeindruckt und fühlte sich in seine Kindheit zurückversetzt, als die Dame des Iles, seine Mutter, mit fester Hand über den Haushalt der Burg geherrscht hatte.
    »Willkommen zu Hause, Seigneur!«, hörte er Fiacre de Mar’ leicht amüsierte Stimme, und er wandte sich zu dem Alten, der eben aus dem Durchgang zur Treppe getreten war und sich auf einen Stock stützte.
    »Wie habt Ihr dieses Wunder vollbracht?«, fragte staunend der junge Ritter und öffnete die Schnalle seines staubigen Reiseumhanges.
    »Bedankt Euch nicht bei mir, sondern bei der Kleinen, die Ihr nach Lunaudaie gebracht habt«, meinte der Burgvogt schmunzelnd. »Sie besitzt das beeindruckende Organisationstalent eines Generals und die volle Autorität eines regierenden Herrschaftshauses. Sie schafft Übermenschliches im Wunsch, Euch zu gefallen!«
    »Graciana?« Kérven schaute sich suchend um. »Wo in Dreiteufelsnamen steckt sie? Habt Ihr daran gedacht, dass sie die Burg nicht verlassen darf? Ihr seid mir dafür verantwortlich!«
    »Wenn Ihr Euch die Mühe machen wolltet, den Kopf zu wenden ...«, entgegnete der Burgvogt, den diese Vorwürfe ein wenig erbitterten.
    Graciana hatte das bekannte Pferd entdeckt, als sie aus dem Backhaus trat. Ein Stallknecht hatte seine liebe Mühe mit dem feurigen Hengst gehabt, und sie hatte ohne

Weitere Kostenlose Bücher