Graciana - Das Rätsel der Perle
davon ab, in die gefährlichen Augen zu sehen, und erinnerte sie daran, dass er wütend genug schien, um sie zu schlagen. Sie versuchte ihre Angst zu verbergen. Sie durfte keine Schwäche zeigen, sonst war sie vollends verloren, das wusste sie instinktiv.
»Ihr habt keine Rechte über mich«, erwiderte sie und sträubte sich eigensinnig gegen seinen Griff. »Ich bin nicht Eure Leibeigene!«
»Zum Henker, ich hätte dich den Männern an der Mühle von Auray überlassen sollen. Sie hätten dir vermutlich beigebracht, was Gehorsam ist!«, sagte er verärgert.
Meinte er das ernst? Graciana sah nun doch auf und verlor sich in seinen wütenden, blauen Augen. Sie versuchte, das eigene kühle Feuer dagegenzusetzen. Es war ein Machtkampf, das war ihr bewusst. Woher sie freilich den Mut und die Kraft nahm, dieses Scharmützel aufzunehmen, vermochte sie selbst nicht zu sagen.
Kérven des Iles verspürte bei allem Grimm einen Anflug von widerwilligem Respekt für ihren Kampfgeist. Normalerweise beugten sich selbst hartgesottene Krieger vor seinem Blick. Dass ihm diese zierliche junge Frau solchen Widerstand bot, fand er ebenso unerwartet wie verblüffend. Es steckte ein Kern aus purem, gehärteten Stahl in ihr. Das Herz eines Kriegers. Weshalb konnte sie nicht wie andere Frauen sein? Ängstlich, schwach und nur darauf bedacht, sich in die starken Arme eines Mannes zu schmiegen, damit jener für sie sorgte?
In dem lastenden Schweigen, das zwischen ihnen entstand, wandte er erstaunlicherweise als erster die Augen ab. Ein tiefer Atemzug weitete seine Brust, und er beruhigte sich ebenso schnell wieder, wie er sich zuvor über sie erregt hatte.
»Komm zu mir, petite ! Willst du nicht sehen, was ich dir aus Rennes mitgebracht habe?«
»Ihr habt mir etwas mitgebracht?«
Gracianas Augen weiteten sich vor Erstaunen, und sie wirkte wie ein Kind, das zum ersten Male in seinem Leben ein Geschenk bekommt. Kérven konnte nicht wissen, dass dies auch tatsächlich der Fall war.
»Die Truhe dort gehört dir!«
Er deutete auf eine schwarze Ebenholztruhe, die so groß schien, dass zwei Männer bequem darauf sitzen konnten. Im Augenblick allerdings stand ihr Deckel offen, und Graciana erhaschte den Schimmer von Seide, von bestickten Stoffen und zarten Schleiergeweben in den verführerischsten Farben.
»Ich habe mir vorgestellt, wie du in diesen Gewändern aussehen wirst«, raunte Kérven. »Ich kann es kaum erwarten, dich darin zu bewundern. Ich nehme an, dass es in der Burg eine Magd gibt, die mit Nadel und Faden umgehen kann, falls das eine oder andere geändert werden muss. Ich habe versucht, fertige Kleider zu kaufen, denn ich bezweifle, dass du in Lunaudaie etwas anderes als brave Wollgewänder und bretonische Hauben bekommst.«
Die Versuchung war unmenschlich. Es juckte Graciana in den Fingern, wenigstens einmal über diese Herrlichkeiten zu streicheln. Sie wenigstens genauer zu betrachten. Kennen zu lernen, wie Seide sich anfühlte, wie jener feine Florschleier oder diese prächtige Spitze aus steifem Goldfaden. Aber die Frage, welchen Dank er für diese Großzügigkeit erwartete, bannte sie auf ihren Platz. Hurenlohn! Die eigenen Worte gellten durch ihren Kopf.
Wie immer zeichnete sich der Kampf mit dem eigenen Stolz auf ihren ausdrucksvollen Zügen ab. Ungeduldig trat der Seigneur an die Truhe und griff nach dem nächstbesten Stück. Es entpuppte sich als prachtvolle Robe aus goldbesticktem, grünem Samt, deren Kanten mit weichem braunen Fell gefasst waren und die wie geschaffen dazu schien, Gracianas, zerbrechliche Schönheit an einem kühlen Wintertag zu unterstreichen.
Er wollte sich eben damit zu ihr wenden, als er mit dem Fuß so unerwartet auf einen runden Gegenstand trat, dass er mit dem Knöchel umknickte. Mit gerunzelter Stirn sah er zu Boden und entdeckte zwischen den Samtfalten einen runden, milchigen Schimmer. Noch während er sich danach bückte, stürzte Graciana vor ihm zu Boden und barg das Ding blitzschnell in ihrer Hand.
»Was war das?«, verwunderte sich Kérven.
»Es gehört mir! Es braucht Euch nicht zu kümmern!«, rief sie angsterfüllt und versteckte die Hand hinter ihrem Rücken.
Mehr hätte sie nicht zu tun brauchen, um den Ritter neugierig zu machen. Er warf das Gewand in die Truhe zurück und trat zu ihr.
»Zeig her!«, forderte er mit ausgestreckter Hand und erntete jenes eigensinnige Kopfschütteln, das so typisch für Graciana war.
»Schluss mit den närrischen Faxen!«, knurrte er und
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