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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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zu, wie er die Schatulle mit einem kleinen Schlüssel versperrte und am Ende auch die große Truhe mit einem mächtigen Riegel und einem weiteren Schlüssel vor jedem fremden Zugriff schützte. Vermutlich vor ihrem Zugriff.
    »Ihr müsst Euch meinetwegen keiner solchen Mühe unterziehen«, spottete sie. »Was immer Ihr denkt, ich bin wirklich keine Diebin.«
    »Du wirst auf jeden Fall in Zukunft keine mehr sein«, erklärte der Seigneur knapp. »Und ich rate dir ernstlich, meinen Befehlen zu folgen.«
    »Nennt mir einen Grund, weshalb ich es tun sollte?« Graciana konnte den Mund nicht halten. Sie musste Kérven reizen. Ihn verletzen, so rücksichtslos, wie er sie verletzt hatte.
    »Weil ich nicht davor zurückschrecken werde, dich zu strafen, wenn du dich weigerst.«
    Graciana ahnte, dass er ihr Angst machen wollte, aber sie entdeckte erstaunt, dass sie nichts empfand. Weder Furcht noch Bedauern. Der Streit hatte etwas in ihr getötet, das eben erst zu wachsen begonnen hatte.
    Einen kindischen Traum, ein dummes Gefühl, eine törichte Hoffnung, einen phantastischen Wunsch. Es tat weh, schrecklich weh.
    Es tötete sogar die Magie, die es zwischen ihnen gegeben hatte, sobald Kérven sie in seine Arme nahm. Sie hatte keine Kraft, sich gegen ihn zu wehren, aber der Seigneur fand diesmal nur eine wunderschöne, leblose Puppe auf seinem Lager. Graciana nahm hin, was er tat, aber mit keinem Seufzer und keiner Geste zeigte sie, dass sie Vergnügen finden würde. Ebenso gut hätte er bei einer Marmorfigur liegen können.
    Er konnte nicht ahnen, dass dies Gracianas Art zu weinen war. Von klein auf hatte man ihr in Sainte Anne die Tränen ausgetrieben, aber sie hatte ihre eigene Weise gefunden, um ihren Kummer auszudrücken. Es war, als seien ihr Geist und ihre Seele betäubt, zurückgezogen, und als bliebe nur eine Hülle übrig.
    Kérven jedoch interpretierte diese Haltung völlig falsch. Wie konnte sie so kühl und teilnahmslos bleiben? Und er begann zu überlegen, welches wohl die wirkliche Graciana war. Hatte sie ihm bisher die Leidenschaft nur vorgespielt?
    Er fand auf einmal kein Vergnügen daran, sich daran zu erinnern, wie sie sich ihm sonst hingegeben hatte. Alles Lüge. So geschickt wie sie ihre Herkunft und ihre Spuren verschleierte, so raffiniert setzte sie auch ihren Körper ein, um einen Mann zu betören. Nun lernte er ihre Ablehnung kennen – damit verdarb sie ihm die Freude an der Heimkehr. Kérven war schlicht und einfach in seiner Eitelkeit gekränkt.
    Er fand nicht die Entspannung, die er sich gewünscht hatte. Mit schalem Geschmack im Mund und dem unangenehmen Gefühl, ein übler Schurke zu sein, ließ er mit einem Fluch von ihr ab.
    »Fühl dich nicht zu sicher, Mädchen!«, drohte er. »Ich werde dein Geheimnis enträtseln, darauf kannst du dich verlassen!«
    Graciana schwieg traurig. Sie hatte das Gefühl, sie bestünde aus Glas und würde gleich bersten. Eine falsche Bewegung, und sie würde zerbrechen. Aber vielleicht war sie schon längst zerbrochen und hatte es nur noch nicht gemerkt ...

11. Kapitel
    Der Westwind trieb die letzten Blätter vor sich her, peitschte das Wasser aus den Pfützen und pfiff um die steinernen Kamine der Burg sein schrilles Lied. Graciana stand neben dem Eingang des Glacière-Turmes, dessen zerstörtes Dach erst provisorisch abgedeckt worden war. Auf der gegenüberliegenden Seite führte der Weg unter dem schweren Tonnengewölbe hindurch über die Zugbrücke nach draußen. Ein Fuhrwerk mit Feuerholz rumpelte eben in den Burghof und hielt ganz in ihrer Nähe. Knechte liefen herbei, die Köpfe tief zwischen die Schultern gezogen und darum bemüht, im Windschatten zu bleiben.
    Graciana legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel hinauf, beobachtete die dahinfliegenden Wolken. Ein tiefer Atemzug weitete ihre Brust. Sie wollte fort. Sie hatte keine Ahnung wohin, nur fort von Lunaudaie. Fort von Kérven des Iles, dessen Anblick ihr eine Qual bereitete, mit der sie nicht länger leben konnte.
    Langsam begriff sie, was ihre Mutter freiwillig in den Tod getrieben hatte. Es lebte sich schlecht, wenn man sich selbst für die eigene Schwäche verachtete. Wenn man erkennen musste, dass Denken und Handeln zwei ganz verschiedene Dinge waren. Die nachgiebige Schwäche ihres verdammenswerten Körpers war eine ständige Erinnerung an diese Tatsache.
    So wie vorhin, sie hatte nur nach den Eiern suchen wollen, die die Hennen bei diesem Wetter am liebsten irgendwo in eine warme Stallecke

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