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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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gefunden hatten, empfand sie keine Befriedigung, nur unendliche Ratlosigkeit. Was war das für eine schlimme Welt, in der ausschließlich Mord und Totschlag regierten?
    »Gibt es außer mir überhaupt noch eine Menschenseele aus Sainte Anne, die am Leben ist?«, fragte sie bang.
    »Ich weiß es nicht!« An der Bewegung spürte sie, dass der Reiter den Kopf schüttelte. »Ich hatte den Befehl, Euch einzufangen. Es war nicht besonders schwer herauszufinden, dass der Seigneur des Iles, der ausgerechnet zum Zeitpunkt Eures Verschwindens in unserem Lager war, mit einer nagelneuen Magd im Gefolge davongeritten ist. Sein Page redet zu viel, wenn Ihr mich fragt. Danach war es nur noch eine Frage der Geduld und des Zufalles ...«
    »Du hättest dich an die Mägde der Burg wenden sollen«, murmelte Graciana bitter. »Sie hätten dir mit Freuden geholfen, mich zu entführen. Sie müssen überglücklich sein, dass sie mich losgeworden sind ...«
    »Man begegnet den Fremden überall mit Misstrauen. Ganz besonders jedoch in einer Burg, die eben erst eine Belagerung überstanden hat. Weshalb grämt Ihr Euch wegen ein paar dummer Gänse, die vermutlich nur eifersüchtig auf Eure Schönheit sind?«
    Graciana zuckte erneut mit den Schultern. Ein Mordbrenner, der sich die Mühe machte, sein Opfer zu trösten! Ihre Lage wurde wahrhaftig immer grotesker!
    »Tritt näher, Mädchen!«
    Der Befehl riss Graciana aus ihrer Benommenheit. Sie blinzelte gegen das grelle Licht der Fackeln, die an den Wänden blakten und abwechselnd Funken sprühten oder beißenden Rauch entwickelten. Es zog so mörderisch in der Halle von St. Cado, dass sich der Stoff ihres Rocks gegen ihre Beine presste und die blonden Strähnen aus der Stirn geweht wurden. Gab es denn in dieser ungepflegten Räuberhöhle von Festung keine Läden für die schmalen, hohen Fenster.
    Sie hätte sich gerne die Haare aus dem Gesicht gestrichen, aber das grobe Seil, das ihre Handgelenke umspannte, ließ es nicht zu. So konnte sie nur den Kopf in den Nacken werfen, damit sie wenigstens den Blick frei bekam. Nun sah sie den Mann, der am Kopfende des Tisches in einem hochlehnigen Stuhl saß und das Pergament, in dem er las, mit dem Weinkrug beschwert hatte.
    Im Schein der dicken Kerzen, die neben ihm in einem ziselierten Silberleuchter brannten, wirkten seine Haare fast weiß, doch beim Nähertreten erkannte Graciana, dass sein Haar von einem hellen Blond war, unter das sich ein paar einzelne weiße Strähnen gemischt haben mochten. Er trug sein Haar wie ein Edelmann bis auf die Schultern. Unter buschigen Brauen blickten schwerlidrige Augen. Leuchtende Augen, böse und mit dem milden Interesse eines Raubtieres, das sich seiner Beute sicher weiß.
    Ehe Graciana den Blick senkte, hatte sie eine schnelle Musterung abgeschlossen. Sie registrierte die scharfgeschnittene Habichtsnase, den schmalen Mund und das eckige Kinn. Er hatte die Arme vor der breiten Brust verschränkt und wirkte auf die junge Frau wie ein Mann, der bedingungslosen Gehorsam forderte. Den Anblick eines Schurken, den sie hasste, noch ehe sie das erste Wort mit ihm gewechselt hatte.
    »Du gehörst zu den Novizinnen von Sainte Anne«, stellte er fest. »Was weißt du über das Kreuz von Ys?«
    Graciana lauschte der kalten Stimme, die keine Emotion verriet. Hatte er sich so gut unter Kontrolle, oder besaß er keine Gefühle? Sie neigte dazu, Letzteres zu vermuten. Ein Mann, der solche Greueltaten verübte, nur um mächtig und reich zu werden, musste so kalt wie das Meer im Januar sein, so herzlos wie die Felsen an der Westspitze ihrer heimatlichen Halbinsel, gegen die seit Jahrtausenden das Meer anrannte.
    »Ich rate dir, zu antworten!«, vernahm sie den Schwarzen Landry an ihrer Seite.
    Gracianas lange, gebogene Wimpern flatterten ein wenig, als sie zum Tisch sah, sonst war sie mindestens so reglos und stumm wie der wartende Mann am Tisch. Sie starrte auf seine Hände, die die muskelbepackten Oberarme umspannten. Knochige, grobe Hände mit breiten Fingern und fast rechteckigen Nägeln. Am linken Zeigefinger funkelte gleich einem steinernen Blutstropfen ein Rubin. Ein protziges Juwel, wenn auch nicht so prächtig wie jenes, welches sie am Kreuz von Ys gesehen hatte. In trotzigem Triumph hob sie das Kinn. Von ihr würde dieser Mann weniger als nichts erfahren.
    »Widerborstig, hm?«
    Paskal Cocherel warf einen zerstreuten Blick auf die schmale Gestalt. Ein hübsches Ding mit einer guten Figur. Aber obwohl er sonst kein

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