Graciana - Das Rätsel der Perle
aus dem Mund des alten Kämpfers verschlugen den Männern die Sprache. Keiner von ihnen hatte gewusst, welche Erinnerungen in seinem Herzen schlummerten und was ihn zu jenem verbitterten Feind Paskal Cocherels gemacht hatte.
»Es war Cocherel?«, erkundigte sich der Herzog, obwohl niemand daran zweifelte.
»Ich bin dessen sicher.« Pol de Pélage nickte. »Doch ich glaube nicht, dass Graciana jenes Gemetzel überlebt hat. Zum einen wäre sie inzwischen fünfundzwanzig Jahre älter, zum anderen war sie ein frommes, feinsinniges und zartes Geschöpf. Unfähig, solche Schrecken zu ertragen und zu überleben. Es kann sich also lediglich um eine zufällige Namensgleichheit handeln ...«
»Das Mädchen, von dem ich spreche, muss um die zwanzig Jahre alt sein«, meinte Kérven. »Diese Graciana mag auf den ersten Blick ebenfalls zart wirken, aber sie ist größer als die meisten anderen Frauen, und ihr Mut kann es mit dem eines Mannes aufnehmen. Sie lässt sich von keinem Schrecken niederwerfen. Ihr hättet sie sehen sollen, als sie sich in Auray gegen die Söldner zur Wehr setzte!«
»Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr nicht in den Fängen der Fee Viviane gelandet seid?«, erkundigte sich John Chandos mit hörbarem Spott. Er hatte noch nie etwas für Minnegesänge und Romanzen übrig gehabt.
Kérven lächelte nur. »Es würde zwar manches erklären«, erwiderte er, »doch ich fürchte, Ihr täuscht Euch, Chandos. Viviane ist schwarzhaarig und fest in Merlins Händen. Wer bin ich, dass ich mich mit Sagen und Märchengestalten anlege?«
»Seid Ihr nur wütend, weil Euch das Mädchen Eure Ritterlichkeit so wenig gedankt hat, oder gibt es einen besonderen Grund, weshalb Ihr so hartnäckig nach dem Verbleib dieser Graciana forscht?«, wollte Pol de Pélage nun wissen.
Kérvens Gedanken überschlugen sich. Er brachte es immer noch nicht fertig, seinen Verdacht auszusprechen. Falls er Graciana jemals wiederbegegnete, würden sie beide dies unter sich ausmachen.
»Ich fühle mich für die Kleine verantwortlich«, erwiderte er schließlich. »Sie schien mir mutiger, als ihr guttut, und nicht im Stande, die Risiken des Lebens richtig einzuschätzen. Ich fürchte, sie wird sich erneut in Schwierigkeiten bringen, wenn es mir nicht gelingt, sie vor sich selbst zu schützen!«
»Hm«, meinte der Waffenmeister nur, und der Herzog schmunzelte.
»Vielleicht hättet Ihr ebenso reagiert, mein Alter, wenn Eure bedauernswerte Verlobte vor vielen Jahren in Schwierigkeiten geraten wäre«, gab er zu bedenken.
»Sie ist in tödliche Schwierigkeiten geraten, Euer Gnaden«, erwiderte Pol de Pélage. »Aber ich war nicht an ihrer Seite, um sie zu beschützen. Es gibt keinen Tag meines Lebens, an dem ich diese Tatsache nicht schrecklich bereue!«
Kérven schwieg wie alle anderen und starrte in die Flammen. Im Grunde seines Herzens verstand er den Waffenmeister des Herzogs. Sollte er je erfahren, dass Graciana Schaden genommen hatte, weil sie die Möglichkeit bekommen hatte, aus Lunaudaie zu fliehen, würde er nie aufhören, sich dafür Vorwürfe zu machen.
13. Kapitel
Widersetzt Euch nicht und beantwortet alle Fragen, dann wird Euch nichts geschehen!«
Graciana warf dem schwarzbärtigen Fuhrmann mit den Höllenaugen einen ungläubigen Blick zu. Die Tatsache, dass er seine Stimme gedämpft hatte, damit die anderen ihn nicht hörten, war ebenso verblüffend wie die respektvolle Anrede. Vor den anderen und auch auf Lunaudaie hatte er sie geduzt, wie das unter seinesgleichen üblich war. Weshalb die plötzliche Ehrerbietung?
»Weshalb sollte ich das tun?«, erwiderte sie herausfordernd und riss an den Fesseln, die ihre Handgelenke banden. Sie saß vor ihm auf einem riesigen Schlachtross, das sicherlich einem der Ritter gehört hatte, die vor Auray ihr Leben eingebüßt hatten.
»Haltet Euch ruhig, verdammt!«, knurrte er wütend und nahm die Zügel kürzer. »Der Herzog ist wütend genug, dass Ihr seinen Männern entkommen seid. Niemand wird Euch ein zweites Mal eine solche Chance geben.«
»Welcher Herzog?« Graciana war verdutzt. »Bringt Ihr mich etwa nach Rennes?«
Ein heiseres Lachen antwortete ihr. »In der Bretagne herrschen zwei Herzöge, meine Schöne, solltet Ihr das noch nicht gemerkt haben? Wir sind zur Burg von St. Cado unterwegs!«
Graciana erschrak nicht einmal. Tief in ihrem Herzen hatte sie diese Auskunft bereits erwartet. Wenn Paskal Cocherel auch nur die kleinste Vermutung gehabt hatte, dass sich das Kreuz von Ys in
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