Graciana - Das Rätsel der Perle
zurück, und dann ergoss sich ein Schwall eiskalten Wassers über ihren Kopf, ihre Schultern, ihre Kleider.
Mit einem heiseren Protestlaut riss Graciana die Augen auf und machte sie sofort wieder zu. Der düstere Raum schien voller Männer und Fackeln zu sein. Bedrohliche, schweigende Schatten, die geduldig darauf warteten, dass sie sich von ihnen einschüchtern ließ.
Graciana fröstelte. Sie hatte sich an die Kälte dieses Loches gewöhnt, aber die Feuchtigkeit ließ sie erschauern. Sie riss einmal mehr vergeblich an den gefesselten Händen, sie fühlten sich taub und fremd an. Ein quälender Atemzug weitete ihre Brust, und sie blinzelte schwach gegen die Fackeln. Sie bot ein erbärmliches Bild. Zusammengekauert, mit nassen, dunklen Haarsträhnen, Schmutz auf Gesicht und Gewand, wo das Wasser sie nicht erreicht hatte. Kein Mensch mehr, nur noch Kreatur.
»Schafft sie hinüber«, sagte die Stimme, die ihr bereits aufgefallen war und die ihrem Vater gehörte, wie sie sich nun wieder erinnerte. Ihrem schurkischen, gewalttätigen Vater. Zu Paskal Cocherel, dem Mordbrenner und selbst ernannten Herzog von St. Cado.
Der Befehl galt dem bulligen Gordien. Der beugte sich hinab und zog Graciana auf die Füße. Sie knickte vor Schwäche ein, aber es kümmerte ihn wenig, ob sie laufen konnte oder nicht. Er packte sie unter den Achseln und zerrte sie davon. Sie verlor ihre flachen, knöchelhohen Lederschuhe, und ihre Fersen hinterließen Spuren im Schlamm. Die Strümpfe rissen, und bis sie in der halbrunden Kammer ankam, scheuerten ihre Fersen über raue Steine. Die Haut riss auf und blutete, und Graciana grub die Zähne in die Unterlippe.
Dann änderte der Hauptmann seinen Griff, packte sie um die Taille und trennte mit dem Dolch die Hanfseile um ihre Handgelenke. Danach stieß er sie auf eine hölzerne Bank, die an einer Säule stand.
Graciana wollte sich noch abfangen, aber ihre Arme knickten hilflos ein. Nur langsam kehrte das Blut in die abgestorbenen Partien zurück, und das schmerzhafte Kribbeln in Fingern und Füßen lenkte sie für ein paar quälende Atemzüge von allem anderen ab.
Doch als sie sich dann das Haar aus dem Gesicht strich und sich umblickte, wurde sie noch bleicher. Sie hatte noch nie eine Folterkammer gesehen, aber dass es sich bei diesem Raum um eine solche handelte, war offenkundig. Die flackernde Glut in einem großen Kamin und das erschreckende Sammelsurium abstoßendster Gerätschaften sprachen ihre eigene Sprache. Da gab es gekreuzte Balken, benagelte Bretter und Zangen in allen Größen. Peitschen, Stöcke, Riemen, Spieße und Eisenringe. Alles sprach von einer so menschenverachtenden Grausamkeit, dass sie sich unwillkürlich bekreuzigte.
Paskal Cocherel brach in heiseres Lachen aus. Ihre Geste amüsierte ihn.
»Eine fromme Dirne! Die Hexe von Äbtissin hat ihre Brut zu zähmen gewusst!«
Gracianas erschrockener Blick glitt von ihm zu Gordien und den beiden Männern, die ihn begleiteten. Der Schwarze Landry gehörte dieses Mal nicht dazu, eine Tatsache, die sie noch mehr erschreckte. Er hatte sie zwar nicht sonderlich freundlich behandelt, aber sie hatte trotzdem in seiner Gegenwart das eigenartige Gefühl gehabt, dass ihr nichts Böses geschehen konnte.
Sie hätte ihn gerne gegen die beiden Kerle mit den dumpfen, ausdruckslosen Gesichtern ausgetauscht. Sie trugen schmierige, lederne Beinlinge und Lederwesten über dem bloßen Oberkörper. Sie kamen Graciana wie Abgesandte der Hölle vor.
Sie konnte nicht ahnen, dass Paskal Cocherel diese Kerle absichtlich einsetzte. Er wusste, welche Wirkung diese abstoßenden Kerle auf Männer hatte, geschweige denn auf eine Frau.
Manchmal genügte schon eine einzige bedrohliche Bewegung dieser Monster, um eine Frau zum Sprechen zu bringen.
Graciana indes war aus härterem Holz geschnitzt. Aus seinem Holz, auch wenn er es in diesem Augenblick noch nicht wusste.
»Nun, Mädchen, ich rate dir zu reden. Was weißt du über das Kreuz von Ys?«
Die flüchtige Regung eines Gefühls glitt über Gracianas Gesicht, aber sie war so schnell vorüber, dass nicht einmal ein so gewiefter Menschenkenner wie der Söldnerführer sie interpretieren konnte.
»Schluss mit den Narreteien! Bisher hat noch ein jeder gesprochen, der an dieser Säule dort hing. Wenn du es vorher tust, ersparst du dir Schmerzen und mir Zeit ...«
Er drohte mit soviel gelangweilter Grausamkeit, dass Graciana geradezu erleichtert einen ersten Anflug von Zorn verspürte. Wut war besser als
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