Graciana - Das Rätsel der Perle
suchte den Blick des Ritters. »Ich bin in der Hoffnung!«
Dame Lucile ächzte, als habe sie eine unsichtbare Faust geschlagen. Der Seigneur de Pélage reagierte eher seltsam. Er ließ seine Hand auf Gracianas Scheitel ruhen und betrachtete sie mit einer Mischung aus angespannter Wachsamkeit und unpassender Heiterkeit. Ersteres konnte Graciana sich erklären, das zweite gab ihr Rätsel auf.
»Hat man dir Gewalt angetan?«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Welcher Schurke war es dann?«
»Er ist kein Schurke!«, entgegnete Graciana heftig und stand mit raschelnden Röcken wieder auf. Trotzige Röte flog über ihre blassen Wangen. »Ihr könnt Euch auch die Mühe sparen, nach seinem Namen zu forschen. Ich werde ihn nicht nennen.«
»Kind, Ihr wisst nicht, was das bedeutet.« Dame Lucile hatte endlich die Sprache wieder gefunden und rang die Hände. »Alle Welt wird sich das Maul darüber zerreißen. Die Wohlmeinenden werden Euch in falscher Scheinheiligkeit bedauern und darüber spekulieren, welcher Söldner Euch missbraucht hat, und die Neidischen und Boshaften werden Eure Tugend in Frage stellen. Eine Schönheit wie die Eure schafft nicht nur Freunde.«
»Über meine Tugend muss ich niemandem Rechenschaft ablegen«, flüsterte Graciana mit erstickter Stimme und wandte ihnen den Rücken zu. »Aber seid versichert, dass ich Euch nicht böse bin, wenn Ihr mich wieder allein lasst!«
»Niemand wird Euch im Stich lassen«, erklärte Pol de Pélage, ehe Dame Lucile ihre Entrüstung in Worte fassen konnte. »Ich hätte auch Eure Mutter nicht im Stich gelassen, wenn sie nicht in dieses verdammte Kloster, sondern in meine Arme geflohen wäre! Ich werde wahrhaftig nicht zulassen, dass auch Ihr aus falschem Stolz Dinge tut, die Euch und Eurem Kinde schaden!«
»Das habt Ihr gut gesagt, ich hätte es nicht besser tun können«, schnaufte Dame Lucile zufrieden. Sie trat zu der jungen Frau und schloss sie in eine mütterliche Umarmung. »Zudem wird der Herzog ohnehin daran interessiert sein, Euch umgehend mit einem seiner Ritter zu verheiraten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Baronie von Cesson unter der Herrschaft eines unerfahrenen Mädchens lassen möchte!«
Was als Trost für Graciana gedacht gewesen war, versetzte diese in Panik. Sie machte sich aus der Umarmung frei und sah sich um, als suche sie einen Fluchtweg.
»Ich will keinen Mann! Ich will nur, dass man mich irgendwo in Frieden leben lässt!«
»Aber Kind«, die Oberhofmeisterin versuchte ihr die Vorteile des bevorstehenden Arrangements näher zu bringen. »Ihr könnt nicht das Leben eines Schmetterlings führen, nun, wo Ihr Euch unter die Obhut des Herzogs begeben habt. Natürlich erhaltet Ihr Pardon für alles, was zuvor gewesen ist, aber Seine Gnaden wird großen Wert darauf legen, dass das Unrecht, das Eurer Familie und Eurer Mutter widerfahren ist, ausgeglichen wird. Vielleicht erhaltet Ihr sogar einen Platz unter den Damen der Herzogin! Ihr könnt Euch dem nicht entziehen!«
»Nein! Das will ich nicht!«
Es lag etwas in Gracianas klarer Stimme, das der Oberhofmeisterin erneut die Sprache raubte. Man schlug derartige Ehren nicht wie ein eigensinniges Kind in den Wind. Bei Gracianas Erziehung lag tatsächlich einiges im Argen, wenngleich sie nicht ihr, sondern ihrer Großtante diesen Vorwurf machen musste.
Pol de Pélage mischte sich nicht ein. Im Gegensatz zu Dame Lucile hatte er so seine ganz persönlichen Vermutungen, was den Vater dieses Kindes betraf. Wenn er je einen unglücklich verliebten Mann gesehen hatte, dann war dies der Graf von Lunaudaie gewesen. Wie würde er reagieren, wenn er davon erfuhr? Sollte er ihm sagen, was er wusste? Durfte er es überhaupt wagen, einen derartigen Vertrauensbruch zu begehen, auch wenn er es nur gut mit dieser dickköpfigen, tapferen jungen Frau meinte? Er musste gut darüber nachdenken.
»Gütige Mutter Gottes«, seufzte währenddessen die Dame de Tréboule und fügte sich in das Unvermeidliche. »Ihr seid nicht wie andere Frauen, aber das kann man vermutlich auch nicht erwarten!«
Genau wie sie kam auch schon bald eine ganze Reihe von Männern zu dieser Erkenntnis. An erster Stelle Jean de Montfort, der Kérven des Iles ein Taschentuch reichte, das er aus seinem Ärmel zog, nachdem Graciana und ihre Beschützer das Arbeitskabinett verlassen hatten. »Nehmt das, ehe Ihr mir meinen maurischen Teppich vollends ruiniert, mein Freund!«
Kérven öffnete in aufrichtiger Verblüffung seine Hand, und
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