Graciana - Das Rätsel der Perle
vergessen?«
»Wie hätte ich das je gekonnt? Ihr seht ihr so ähnlich, wie aus dem Gesicht geschnitten!«
Graciana senkte den Blick. Nur sie wusste, dass die Ähnlichkeit sogar noch tiefer ging. Auch sie erwartete ein Kind von einem Manne, der nie ihr Gemahl sein würde. Auch sie hatte ihre Ehre längst verloren ... doch im Unterschied zu ihrer Mutter hatte sie sich in heißer Leidenschaft freiwillig verschenkt!
»Ihr täuscht Euch in mir«, murmelte sie bedrückt. »Ich bin es nicht wert, dass Ihr mir all diese Gefühle entgegenbringt.«
»Wollt Ihr es mich trotzdem tun lassen?«
Pol de Pélage drückte ihre schmalen Finger. Sie bebten unter diesem Griff, dann entspannten sie sich, und Graciana schenkte dem Ritter ein schmerzliches Lächeln. Er erinnerte sie an Fiacre de Mar. Offensichtlich waren nur die Alten fähig, ihre Person ohne Einschränkung zu akzeptieren.
»Ich werde Euch nicht zürnen, wenn Ihr diesen Entschluss noch einmal überdenkt und Euch anders entscheidet«, sagte sie leise. »Aber selbst dann sollt Ihr wissen, dass ich Euch zutiefst dankbar bin. Niemand wollte mich je haben.«
Die leidenschaftslose, ruhige Feststellung dieser Tatsache entlockte dem Waffenmeister einen lästerlichen Fluch. Er schloss die schmale Gestalt Gracianas ohne große Vorreden in seine Arme. Sie verschwand fast in diesem ungeschickten Liebesbeweis.
Der Herzog vernahm ein eigenartiges Geräusch neben sich. Er blickte zur Seite und sah, dass Blut aus einer Schnittwunde an Kérven des Iles’ Hand auf den Tisch tropfte und von dort zu Boden. Es musste eine tiefe, schmerzhafte Wunde sein, denn es hatte sich bereits eine kleine rote Pfütze angesammelt. Kérven schien es nicht einmal zu bemerken. Er starrte auf Pol de Pélage und das Mädchen, das jener in seinen Armen hielt, als habe sich unvermittelt die Erde vor ihm aufgetan.
Niemand wollte mich je haben! Einfache Worte, aber sie hatten den Grafen von Lunaudaie mitten ins Herz getroffen. Er war dieser Niemand, dieser herzlose Tölpel, der sich nicht die Mühe gemacht hatte, ihr zu glauben. Der sie benutzt und gedemütigt hatte, schlimmer noch als Paskal Cocherel es mit ihrer Mutter getan hatte. Denn er hatte sich sicher geglaubt in der ganzen Arroganz eines Mannes, der Sitte, Anstand und ritterliche Moral auf seiner Seite wusste!
»Ihr sollt Eure Gerechtigkeit bekommen, Graciana de Cesson!«, sagte Jean de Montfort in diesem Moment, und allen war bewusst, was es bedeutete, dass er die junge Frau mit diesem Namen ansprach.
Es gab keine Cessons mehr in der Bretagne, aber die Baronie dieses Namens existierte noch und war an den Herrscher zurückgefallen, nachdem die Familie von Cocherel ausgerottet worden war. Mit zwei Silben hatte er Graciana aus einer namenlosen, heimatlosen Novizin in eine edle, vermögende Dame verwandelt.
Und das ohne Rücksicht auf ihre außereheliche Geburt! Sie selbst begriff die Konsequenz dieser Anrede am wenigsten. Für sie hatte die Gerechtigkeit nur ein einziges Bild.
»Werdet Ihr Paskal Cocherel in Acht und Bann tun?«, wollte sie wissen.
»Es ist mein Ziel, ihn zu vernichten«, gab der Herzog zu. »Aber ich muss es auf eine Weise tun, dass dieses Land nicht noch schlimmer unter den Folgen leidet. Werdet Ihr die Geduld haben, dies abzuwarten? Ihr habt mein Wort, dass Eure Mutter und ihre Familie nicht umsonst gestorben sind.«
Graciana begegnete seinem Blick und hielt ihn geraume Zeit fest. Jean de Montfort zuckte ein wenig zusammen. Er war es nicht gewohnt, von Frauen so unverblümt und prüfend gemustert zu werden. Dieses wunderschöne Geschöpf wog tatsächlich in aller Ruhe seine Worte ab, ehe es seine Entscheidung traf und mit einer Würde nickte, als sei es die Herzogin persönlich.
»Ich danke Euch, Euer Gnaden!«, sagte sie leise und senkte wieder den Blick.
Sie musste es tun, denn die Versuchung war zu groß, dass sie ein wenig zur Seite schaute und jenen Mann ansah, den sie dort wusste. Das Wissen um seine Gegenwart machte ihr Herz schwer. Weshalb sagte er nichts? Weshalb überließ er es dem Waffenmeister, für sie einzutreten?
»Geht mit Gott, mein Kind«, entgegnete der Herzog mit Wärme. »Ich bin sicher, der Seigneur de Pélage möchte Euch in Euer Gemach begleiten. Hört ihn an und lasst Euer Herz entscheiden; ich denke, es wird die richtigen Worte für ihn finden!«
Der grauhaarige Ritter dankte seinem Herrn mit einer Reverenz, dann ergriff er Gracianas Arm und führte sie hinaus. Dame Lucile folgte eilig mit
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