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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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darauffolgenden Tag, nachdem Sie ihn gemacht hatten, gemeldet haben. Waiblinger war erstaunt darüber, das wissen Sie sicher.«
    »Waiblinger ist ein elender Griffelspitzer!«
    Greving zuckt mit den Schultern und steht ebenfalls auf. Gemeinsam gehen sie zu Grevings Wagen. Stumm sitzen sie auf der Fahrt nebeneinander, bis Greving vor Mausers Haus hält. Greving streckt ihm die Hand hin.
    »Ich wäre froh«, sagt er verbindlich, »wenn ich weiterhin auf Ihre Zusammenarbeit zählen könnte.«
    Mauser drückt die hingehaltene Hand. Eigentlich ist ihm der Kommissar sympathisch. Er kann nur nicht mit ihm reden. Er würde manchmal gern diesem Mann auf die Schulter schlagen und ihm alles verraten. Er kann nur nicht. Er darf es nicht. Er kann nicht mit ihm reden, er müßte ihm aus dem Weg gehen, der Mann ist gefährlich. Viel zu sympathisch, wie er bei dem Händedruck lächelt.
    »Ade, Herr Kommissar.« Mauser steigt aus und schaut dem Wagen noch nach.

8
    Gemeinsam erklimmen sie ein steiles Sträßchen, das am Wald endet. Mauser macht mit Veronika den versprochenen Besuch auf dem jüdischen Friedhof. Mühlengasse, früher Judengasse. Sie kommen an der ehemaligen Synagoge vorbei. Mauser schaut hinüber. Ein Mahnmal haben sie da jetzt hingestellt.
    »Da drüben«, sagt Veronika.
    »Ich weiß.«
    Veronika ist ein wenig außer Atem, als sie oben am Wald ankommen. Rechter Hand zweigt ein Weg ab, der unter den Obstbäumen entlangführt. Schlüsselblumen und Bauernbübchen blühen am Rain. Die Bäume haben die ersten Blütenknospen. Mauser geht neben Veronika her und hat nichts zu sagen. Was ihn bewegt und ihm nicht aus dem Kopf geht, kann er ihr nicht sagen. Niemandem kann er das. Sie hakt sich bei ihm unter, aber er schüttelt ihren Arm wieder ab.
    »Ich kann das gerade nicht brauchen«, sagt er.
    Veronika nickt und ist gekränkt.
    Durch die Obstbäume schimmern die Dächer des Dorfes herauf. Gegenüber am Talhang liegt der andere Friedhof, der nichtjüdische. Dort sollte Mutz ihr Grab haben. Wie sein Vater und seine Mutter. Aber das haben sie nicht geschafft. Die Liste der Abtransportierten haben sie abschließen können, aber Mutz ist immer noch nur ein Name darauf. Ich sollte da oben ihr Grab einrichten, denkt Mauser. In Grafeneck steht auch eine Gedenkstätte, da sind die Namen ausgelegt in einem Buch, jeder kann sie nachlesen. Das kann ein Grab nicht ersetzen.
    Sie nähern sich einem Buchenwäldchen am Talrand, der Hag ist umfriedet von Jägerzaun und Haselhecken. Sie treten durch eine Pforte ein.
    »Der Gutort, wurde er immer genannt«, meint Veronika.
    »Der Gutort?«
    »Das hat mir Herr Waltz erzählt. Den Guten Ort von Buttenhausen haben ihn die israelitischen Mitbürger immer genannt.«
    »Israelitische Mitbürger! Red nicht so geschwollen.«
    »Ihre Friedhöfe werden nie aufgegeben«, erzählt Veronika und steigt die ersten Trittplatten hinauf. Sie führen hangaufwärts durch das Gras. Rechts und links ragen die Grabsteine aus dem Rasen wie unordentliche Saat, Kreuz- und Querreihen bis an den waldwärtigen Zaun, viele schräg gekippt, manche wie abgebrochene Zahnstümpfe.
    »Aufgelassen heißt das«, sagt Mauser.
    »Von mir aus. Deshalb findet man hier noch alte Grabsteine.«
    »Hat dir das auch der Waltz erzählt?«
    »Vierhundert sind es. Fast vierhundert. Der älteste aus dem Jahr 1802. Herr Waltz hat eine Belegungsliste …«
    »Der sollte sich mal so viel Mühe machen mit den Opfern aus Grafeneck. Die haben keinen Friedhof.«
    »Was ist denn los mit dir? In letzter Zeit geht dir das nicht mehr aus dem Kopf.«
    Veronika mag den Friedhof. Das weiß Mauser. Dagegen läßt sich nichts machen. Wenn es nicht unbedingt ein Friedhof wäre, würde er Mauser auch gefallen. Launig spielt der Wind in den Birkenschnüren und im jungen Buchenlaub. Im Haselbusch zirpen Vögel. Ein Trecker ist unten im Dorf zu hören und das Kindergeschrei vom Bolzplatz neben der Lauter.
    Er setzt sich auf eine Bank und läßt Veronika herumstreifen.
    Eigentlich ist das kein Friedhof, denkt er. Das ist ein Märchenwinkel, versteckt am Hang. Ich habe keine andächtigen Gefühle, denkt er. Ich wünschte, Mutz hätte so einen Platz, wo ich hingehen und an sie denken könnte. An Mutters Grab bin ich immer am Geburtstag. Vaters Grab daneben. Das ist in Ordnung. Das paßt am Volkstrauertag und auch an Ostern. Dahin sollten wir mal einen Spaziergang machen. Aber Mutz.
    Veronika kommt zurück und setzt sich neben ihn. Sie spürt, daß er sich eingeigelt

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