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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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die’s raus. Das mit dem Kreidekreuz, mein ich.«
    »Dann haben sie’s rausgefunden ohne mich.«
    »Tätst mir’s sagen?«
    »Ich weiß nicht.«
    Waltz dreht sich um, Mauser steht auf. Sie schauen einander in die Augen. Waltz sieht, wie aufgewühlt Mauser ist. Sein rechtes Augenlid zuckt, die Augen rucken hin und her und bleiben nicht still.
    »Du mußt es mir sagen, Heinrich, wenn du was weißt.«
    »Andere Möglichkeiten gibt’s ja auch noch. Es weiß doch keiner, wie die Leich in den Anzug gekommen ist. Vielleicht haben sie ihm den angezogen. Das ist doch alles nicht sicher.«
    »Der Tote war ein Behinderter. Das werden die in Reutlingen rausfinden. Das ist alles. Und du hast es gewußt.«
    »Ich sage das nur dir.«
    »Denkst, ich kann mir den Hochstetter mal ansehen?«
    »Was willst du denn von dem?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Das macht Mutz nicht wieder lebendig.«
    Aber Mauser spürt die Wut in sich wachsen. Die Hilflosigkeit, zu der ihn die Pistolenkugel verdammt, die Ohnmacht gegenüber dem Verdacht, daß sein Vater ein Mörder ist, die Scham und die Verzweiflung und die Unmöglichkeit, daß es sein kann – das verwandelt sich immer mehr in Wut. Er will sich den einmal anschauen, der Mutz mit seinem Attest in den Tod geschickt hat. Er will ihm einfach gegenüberstehen. Das hat wahrscheinlich keinen Sinn, er wird alles leugnen, beweisen konnte man ihm nichts, und was soll Mauser vorbringen? Aber es ist eine Möglichkeit, etwas zu tun. Unterwegs zu sein. Sich zu bewegen. Nur nicht wieder vor dem Okular sitzen und Rillen zeichnen. Der Kommissar ist fort, er könnte sich jetzt in Ruhe um alles kümmern, er könnte versuchen, weitere Spuren zu finden. Aber das ist alles nichts, Mauser weiß das. Er steckt fest, er muß es aushalten.
    Sein Vater hat einen Behinderten erschossen. Das kann nicht sein.
    Und wenn doch?
    Es muß eine andere Erklärung geben. Einen Täter. Irgendeinen Fremden, der es getan hat, der in einer Geschichte vorkommt oder als Fahndungsfoto bei der Polizei, irgendein Fremder, den er nie gekannt hat und nie kennen wird. Sein Vater hat es nicht getan. Es war ein anderer Vater, eine Maske, hinter der sich noch immer das heile Bild versteckt, der Mensch, den er geliebt hat.
    »Du hast was mit der Leich zu tun, Hermann«, sagt Waltz gutmütig. »Was wenn du mir sagen tätst, dann könnte ich dir weiterhelfen.«
    Vertrauen gegen Vertrauen. Das wäre kein schlechter Handel. Aber Mauser kann das Geheimnis nicht preisgeben.
    »Ich hab sie gefunden, das ist alles«, sagt er.

12
    Mauser fährt mit seinem Moped nach Grabenstetten. Kein Ausflug diesmal. Der Kommissar ist fort, jetzt könnte sich Mauser in Ruhe auf die Spurensuche machen. In Grabenstetten sitzt die Zentrale des Vereins »Höhle & Karst«. Es gibt dort ein Archiv, in dem alte Oberamtsbeschreibungen und die Blätter des Albvereins gesammelt sind, sofern sie Berichte über die Höhlen der Alb beinhalten. Wenn er irgendwo etwas über die Lehmkammerhöhle findet, dann dort. Hinter der Täterfrage ist allerdings die Frage, wie die Leiche in die Höhle gekommen ist, zurückgetreten. Mauser hofft: Vielleicht ergibt sich aus der Geschichte der Höhle ein Hinweis, der auch die Täterfrage betrifft. Vielleicht war alles ganz anders. Man muß alle Spuren verfolgen, sagt er sich. Aber er spürt die Unruhe in sich, ein Klemmen im Magen, als wäre er krank. Krank fährt er über die Alb, hat kaum einen Blick für die Landschaft, krampft sich um ein Inneres herum, das er niemandem zeigen kann und das ihn doch krank macht, das er versucht, in Grabenstetten zu heilen. Aber das könnte er dort versuchen wie anderswo, das macht keinen Unterschied. Vermutlich stammt die Kugel aus Vaters Pistole, und vermutlich war der Tote ein Behinderter.
    Der Leiter des Archivs, ein dürrer Wicht und versierter Höhlenforscher, sitzt am Schreibtisch vor seinem Rechner und ist beschäftigt.
    »Grüß Gott, Herr Mauser«, sagt er.
    »Grüß Gott. Was machen Sie denn gerade? Sie sehen ja sehr beschäftigt aus.«
    »Wir sind gerade dabei, die ganzen Berichte in eine Datenbank einzugeben. Das ist ein Heidengeschäft, sag ich Ihnen.«
    »Die ganzen Berichte?«
    »Dann kann man mit Stichwörtern viel besser suchen als mit dem alten Index. Dann nehmen Sie bloß die Suchfunktion des Programms und –«
    »Also wenn ich zum Beispiel die Lehmkammerhöhle suche …«
    »Die Lehmkammerhöhle?« Der Mann überlegt und schüttelt den Kopf. »Die kenne ich gar nicht.«
    »Beim Münzloch,

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