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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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jetzt tritt er in die Geschichte ein. Spielt er wieder mit, um sie zum Abschluß zu bringen.
    Es ist gut, daß niemand darüber Bescheid weiß. So wie der Tote in der Höhle sein Geheimnis war, ist die gefundene Kugel sein Geheimnis, ist sein Wissen darum unteilbar. Nur so kann er frei genug handeln, um die Geschichte zu beenden.
    Ich sollte bei Hochstetter vorbeischauen, denkt er.
    Vielleicht weiß der was über den Toten. Er hat damals auch seine Rolle gespielt, und seine Geschichte ist auch noch nicht zu Ende.
    Ich sollte ihn fragen, ob er sich an seine Atteste erinnern kann. An Mutz kann er sich mit Sicherheit nicht erinnern. Aber er soll zugeben, daß er mit seiner Geschichte noch leben muß, auch wenn er sie vergessen will. Ich sollte ihn daran erinnern.
    Daß ihm seinerzeit niemand etwas nachweisen konnte, erstaunt Mauser nicht. Das gehört mit zu der Geschichte.
    Die Schuld ist eindeutig, aber selten fügen sich die äußeren Umstände dazu. Die Schuld wird zu einem Geheimnis, jeder kann sie einfordern, der das Rätsel löst.
    Der Kaffee hat ihn wach gemacht. Wacher als die vergangenen Tage. Die Zigarre gibt ihm Ruhe. Gedanken kommen und gehen wie auf einem Waldweg, wandern heran und vorbei unterwegs zu ihrem eigenen Ziel, er sitzt und wartet und begrüßt jeden. Sie gehen ihm voraus, er ruht noch eine kleine Weile und wird dann nachkommen. Am Ziel wird sich alles treffen, jeder Augenblick, jede Geste, jedes stumme Wort.

13
    Hochstetters Adresse ist leicht herauszukriegen. Ein Blick ins Telefonbuch. Mauser zieht sein Cordsamtjackett und ein Hemd an, will mit dem Auto fahren. Der Hochstetter ist einer, dem man nicht in Motorradleder begegnet. In die Jackettasche steckt er die Pistole, er weiß nicht, warum. Um die Pistole geht es ja, und um Mutz. Mauser zieht es manchmal die Kehle zusammen, wenn er an all das denkt. Er fühlt sich gefangen in einem unsichtbaren Netz. Nein, es war kein Zufall, daß gerade er die Leiche gefunden hat. Dahinter ist ein Schicksal am Werk, Gott vielleicht, er hat ihm aufgelauert und will ihm nun sein bisheriges Leben nehmen.
    Lebenslügen, denkt Mauser, als er ins Auto steigt und den Motor anläßt. Ich war mir immer sicher, mit keiner einzigen Lüge zu leben. Aufrichtigkeit gegen sich selber, das war immer notwendig. Und jetzt droht der Zusammenbruch der Vergangenheit und mit ihr der Zukunft. Wenn Vater noch leben würde, denkt er und fährt auf die Talstraße hinaus, dann könnte ich ihn fragen. Aber so muß ich im Dunkeln herumtasten, nach Spuren suchen, Indizien finden, vergilbte Dokumente und eine Kugel im Waldboden und ein Kreidekreuz auf einem Sonntagsanzug. Er steckt die Hand in die Tasche und fühlt das Metall der Waffe.
    Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die Ferien enden nicht, der Alltag ist ausgelöscht. Seit Monaten, kommt es ihm vor, fährt er herum und weiß nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Seit Monaten versucht er, das Geheimnis einer Leiche zu lösen. Das wird immer schlimmer, denkt er.
    Hundersingen ist rasch erreicht. Das Haus Hochstetter liegt am Hang zur Ruine hin, der steile Mauerzahn ragt aus dem Wald hervor. Es ist ein Neubau, keines von den alten Bauernhäusern. Geld hat er ja. Bis zur Pensionierung hat er in Zwiefalten gearbeitet, nicht bloß, daß sie ihm nichts nachweisen konnten, er hat sogar seine Stellung als Leiter behalten.
    Mauser parkt den Wagen und geht den Plattenweg bis zur Haustür. An der Klingel kein Name. Mauser drückt den Knopf und hört die Klingel im Haus läuten.
    Er wartet.
    Schritte sind zu hören.
    Muß behutsam vorgehen, denkt Mauser noch.
    Die Tür öffnet sich, ein weißhaariger Mann steht in der Tür, in Hose und Strickweste und an einem Stock. Wirkt ausgezehrt. Der muß schon an die neunzig sein, denkt Mauser.
    »Grüß Gott! Was kann ich für Sie tun?«
    »Sind Sie Herr Hochstetter?«
    »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
    »Darf ich reinkommen? Es ist eine persönliche Angelegenheit.«
    »Worum geht es? Ich brauche meine Zeit für mich!«
    »Um Ihre Arbeit als Leiter des Krankenhauses in Zwiefalten.«
    »Aha.« Der Mann nickt, als sähe er einen Verdacht bestätigt. »Da sind Sie nicht der erste, der deshalb mit mir sprechen will. Weshalb sollte ich Sie anhören?«
    »Da ist in Buttenhausen kürzlich eine Leich gefunden worden, vielleicht haben Sie davon gelesen.«
    »Eine Leiche? Sie meinen den Toten in der Höhle?« Hochstetter tritt einen Schritt zurück und hebt die Hand. »Was wissen Sie

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