Grafeneck
durch.
Mauser nimmt die Waffe in die Hand und betrachtet sie.
»Sie täuschen sich. So eine Waffe gibt es tausendmal.«
»Aber nicht in Buttenhausen. Nicht, wenn sie mir ein Mauser vor die Nase legt.«
»Mein Vater hat sie bedroht?«
»Das wissen Sie nicht, nicht wahr? Davon haben Sie noch nie gehört. Das denke ich mir. Hauen Sie ab, verschwinden Sie! Ich will Sie nicht mehr sehen!«
»Die Leich in der Höhle trägt auf ihrem Rücken ein Kreidekreuz, das wollt ich Ihnen noch sagen.«
»Natürlich trägt sie ein Kreidekreuz. Das war ja die Pointe daran. Eine grausame Inszenierung, die Ihr Herr Vater da veranstaltet hat.«
»Was meinen Sie?«
»Von mir hören Sie nichts mehr. Gehen Sie! Verschwinden Sie!«
»Ich könnt Sie erschießen«, sagt Mauser langsam und richtet die Waffe auf Hochstetter. Ja, die Geschichte zu Ende bringen, das wäre der Moment, denkt er. Eine Tat, und alle Ungereimtheiten sind beseitigt. Hat er deshalb die Pistole mitgebracht? Mauser hat noch nie auf ein lebendes Wesen geschossen, er kann es nicht, das weiß er, aber was weiß einer von sich, wenn die Vergangenheit aufersteht und dunkle Gestalten gebiert, wenn die Geschichte sich gegen einen kehrt? Er spürt den Abzugshebel am Finger, es wäre ein glatter Kopfschuß. Oder ist es nur eine Drohung? Will er nur, daß Hochstetter redet?
»Sie könnten mich erschießen, ja! Darauf sind Sie stolz, was? Was regen Sie sich auf wegen Ihrer Schwester? Sie wissen nichts, gar nichts.«
»Haben Sie gedacht, Sie kommen so davon?«
»Und Sie? Glauben Sie, daß Ihr Vater ohne Schuld war? Glauben Sie, daß irgendeiner ohne Schuld gewesen ist? Nach den grau gestrichenen Bussen, da können Sie auch andere fragen.«
»Wen denn?«
Hochstetter versucht noch einmal hochzukommen, diesmal gelingt es ihm. Mauser steht auch auf, sie stehen sich gegenüber, den Couchtisch zwischen sich. Mauser hat noch immer die Pistole auf ihn gerichtet.
»In Buttenhausen wohnt einer, der darüber gut Bescheid weiß. Eugen Mattes, den können Sie fragen.«
»Den Eugen? Was hat der damit zu tun?«
»Fragen Sie ihn.«
»Sie lenken ab.«
»Ach was! Abdrücken ist nicht so leicht, das sage ich Ihnen. Damals hatte ich Angst, ja. Aber heute. Ich habe mein Leben gelebt. Und wenn mich da wieder ein Mauser mit der Pistole bedroht, da kann ich nur lachen.« Er greift über den Tisch hinweg und packt Mauser am Arm. »Raus jetzt!«
»War der Kommissar auch bei Ihnen?« Mauser macht seinen Arm los, richtet die Pistole drohend auf Hochstetters Kopf.
»Ein Kommissar? Nein, davon weiß ich nichts.«
Mauser packt wieder die Wut. Das hat er verhindern wollen, sachlich wollte er bleiben, aber da ist sie wieder. Eine unbezwingbare, dabei kühl rechnende Wut. Er krümmt den Finger am Abzug. Jetzt hat er Lust, diesen Verbrecher zu erschießen. Einfach so. Aber dieses Knäuel aus Schuld und Dunkel, diese ganze verworrene Geschichte schnürt ihm die Kehle ab. So fest er die Pistole hält, ist er doch vollkommen hilflos. Trotz der Wut. Er kann nichts tun. Er kann Spuren suchen und die Geschichte deuten, wie er will. Das macht es nicht besser. Ich hasse ihn, denkt er. Aber das stimmt nicht. Er kann Hochstetter nicht hassen.
In Wirklichkeit, denkt er, müßte ich Vater hassen. Aber das bringt er nicht über sich.
Jetzt greift Hochstetter nach der Hand, die die Pistole hält. Mauser schüttelt Hochstetter ab und tritt ein paar Schritte zurück.
Dann steckt er die Pistole wieder in die Jackentasche.
»Ich komme wieder«, sagt er.
Hochstetter grinst und schüttelt den Kopf.
»Verschwinden Sie! Sie und Ihre ganze Sippe. Ihr, die ihr so genau wißt, was Recht und was Unrecht ist.«
Mauser wendet sich ab und geht zur Haustür. Als er draußen ist, zittern ihm die Knie. Fast hätte ich geschossen, redet er sich ein. Ich war außer mir. Ob es seinem Vater ebenso gegangen ist? Hat er deshalb einen Behinderten erschossen? Aus Hilflosigkeit? Aus kalter Wut, weil er nichts machen konnte? Nichts gegen den Schrecken, der in Grafeneck herrschte. Nichts gegen den Abtransport von Mutz, nichts gegen Mutters Leiche am Strick. Es kommt alles ins Rutschen, denkt Mauser, als er zu seinem Wagen zurückgeht. Alles stimmt nicht mehr. Was soll ich tun?
14
Mattes ist auf dem Acker. Der kommt erst gegen Abend nach Haus, sagt ihm die Frau. Sie wundert sich ein wenig über Mausers Aufmachung, Cordsamtjackett, Mauser bemerkt es. Er nickt und steigt wieder in den Wagen.
»Soll ich ihm was ausrichten?«
»Das
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