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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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darüber?«
    Mauser lächelt. Das war ein Glückstreffer. Der hat was damit zu tun, denkt er. Vielleicht kann ich ihn dazu bringen, darüber zu reden.
    »Darf ich nicht doch hereinkommen?«
    Hochstetter macht Platz und winkt Mauser herein. Es riecht muffig nach Teppichen und Holzmöbeln und nach Medikamenten.
    »Sind Sie krank?« fragt Mauser, als ihn Hochstetter in die Stube bittet.
    »Das Herz. Das Alter ist eine Krankheit, an der man stirbt. So heißt es doch. Ich lebe allein, meine Frau ist schon lange gestorben.«
    »Hab nie geheiratet«, sagt Mauser, weil ihm sonst nichts einfällt, und setzt sich.
    »Jeder lebt sein Leben, wie es ihm richtig scheint. Wollen Sie etwas trinken?«
    »Nein danke. Ich könnt Ihnen vielleicht was über die Identität des Toten sagen«, beginnt Mauser und streckt sich behaglich im Sessel aus.
    »So? Gerade Sie? Na, da bin ich aber neugierig.«
    Hochstetter sitzt auf dem Sofa, den Stock vor sich gestellt und die Hände daraufgelegt. Er hat noch immer etwas Strenges, das einen unwillkürlich einschüchtert. Hat er so seine Anstalt geleitet, jahrzehntelang? Hat er so vor Gericht geleugnet, daß er mit all dem irgendetwas zu tun hat? Muß ein junger Spund gewesen sein damals. Fünfunddreißig vielleicht, rechnet Mauser. Karriere im Nazi-Klüngel. Der wußte, was er wollte.
    »Die grau gestrichenen Busse, Herr Hochstetter«, sagt Mauser und beschließt, sich von dem Mann nicht beeindrucken zu lassen. Er ist der Schuldige, nicht ich, denkt er. »An die werden Sie sich doch noch erinnern, oder?«
    »Grau gestrichene Busse? Wovon reden Sie, Mann?«
    »Die mit den weiß bemalten Fenstern, damit niemand reinsehen kann.«
    »Lieber Mann – wie heißen Sie eigentlich?«
    »Mauser ist mein Name.«
    »Herr Mauser, ich weiß nicht, wer Ihnen meinen Namen genannt hat, aber mit all dem –«
    »– haben Sie nichts zu tun, ich weiß.«
    Hochstetter lacht. »Wenn Sie das wissen, warum fragen Sie dann?«
    »Weil ich weiß, daß Sie damit zu tun haben. Weil ich es sicher weiß. Sie werden sich an den Namen nicht erinnern, aber Sie haben für meine Schwester ein Attest ausgestellt, eins von den Attesten, Sie wissen schon …«
    »Mauser, sagten Sie? Sind sie nicht der Schullehrer? Ich glaube, ich habe von Ihnen gehört. Oder kenne ich den Namen von früher?«
    »Den kennen Sie. Mein Vater war damals Polizist. Der hat Sie sicher gut gekannt, so oft wie Sie in den Dörfern rumgesucht haben, nach Behinderten.«
    »Mauser. Ja, ich erinnere mich.« Hochstetter lächelt. Eine Ahnung sagt Mauser, daß dieser Mann erst richtig gefährlich wird, wenn er lächelt. »Aber ich denke, Sie wissen nicht alles. Vielleicht wissen Sie sogar gar nichts. Wenn er es war, dann erinnere ich mich an ihn.« Die Hände auf dem Stock beginnen zu zittern. Hochstetter atmet schneller, keucht. Aber noch immer blickt er Mauser scharf an.
    »Sie haben meine Schwester den Nazis übergeben. Deshalb bin ich hier. Ich weiß nicht, was Sie mit den anderen Patienten gemacht haben, in Zwiefalten. Ich bin bloß hier, weil’s um ein persönliches Unrecht geht.«
    »Jaja, Recht und Unrecht. Davon hat Ihr Vater auch immer geredet. Ein Gerechtigkeitsfanatiker. Vor mir ist er gestanden mit seiner Pistole und hat mir gedroht. Und die anderen – ach, was wissen Sie denn!«
    Hochstetter will aufstehen, aber seine Beine geben nach. Er fällt auf das Sofa zurück und atmet schwer.
    »Ich darf mich nicht aufregen, aber das sagt sich so leicht. Ich soll alles leicht nehmen – aber das, das werde ich mein Lebtag nicht leicht nehmen! Persönliches Unrecht – ha!«
    Mauser ist verwirrt. Wovon redet der Mann? Wann hat sein Vater ihn mit der Pistole bedroht?
    Unwillkürlich greift er in die Jackentasche und holt die Pistole heraus. Legt sie auf den Tisch, daß Hochstetter sie anschauen kann.
    »Meinen Sie diese Pistole?«
    Hochstetter keucht und greift sich ans Herz. Er stammelt und kriegt kaum Luft.
    »Nein … die Pistole … die ist es! Die ist es!«
    »Das ist die Pistole meines Vaters. Nicht seine Dienstpistole. Die können sie nicht kennen.«
    »Ich soll sie nicht kennen können? Ich habe sie selber in der Hand gehalten …«
    »Wann war das? Wovon reden Sie?«
    »Ich … ich brauche meine Tropfen.«
    »Ja, die brauchen Sie. Es wird schon einen Grund haben, daß Sie sich so aufregen.«
    Hochstetter greift in die Tasche seiner Weste und holt ein Fläschchen hervor. Träufelt die Medizin in den Drehverschluß und kippt den Inhalt hinunter. Atmet tief

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