Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
konnten mich nur die kleinen Teufel erlösen, die mich umschwärmten und über die Schneefl ä che sausten, ohne in ihr zu versinken. Und jetzt sah ich auch die gezackten Wipfel wieder gegen das blaue Firm a ment, und meine Erinnerung kehrte zurück. Sie zu erzwi n gen strengte mein Gehirn derart an, daß mir die Augen g e gen meinen schwachen Willen zufielen; ich war nicht Herr über meinen Körper, ich spürte ihn nicht, ich versank wi e der in dem weißen Federbett …
Die Hölle hat mich! Gnome wieseln um mich herum, brühen meinen Leib in kochendem Wasser, erschrecken mein Fleisch mit plötzlichen Güssen aus eiskaltem Quell. Ich bin nackt und wehrlos. Sie springen mich an, sie ve r renken mir die Glieder, schlagen meine Haut mit Ruten, reißen an meinem Kopf, daß die Knochen krachen, pre s sen meinen Brustkorb; ich ringe nach Luft, doch das L e ben hat mich wieder. Ich verstehe ihre Fragen, und sie antworten auf die meinen.
Ich war unter eine Lawine geraten. Die dicke Frau und die beiden Kinder waren in eine Schlucht gerissen wo r den; man könne sie in der Tiefe liegen sehen, aber nicht bergen. Die Schneeschmelze im Frühjahr würde ihre Körper schon herausspülen, unverwest aus dem Eis, das sie jetzt überz o gen habe.
Mich, den Mann mit der Fahne hätte man schnell gefu n den, weil deren Spitze aus den Schneemassen herausra g te: Ich hätte nur einen halben Klafter tief gelegen, wäre alle r dings um ein Haar erstickt. Dann sei noch ein Mönch mit von der Partie gewesen; nach ihm hätten sie aber nicht mehr gesucht. Ihn habe wohl das Schicksal ereilt, das ihm sowieso bestimmt sei, und der dickste von den schwitze n den Kobolden demonstrierte am Hals eines seiner Gefäh r ten Erwürgen mit Strick oder Kehledurchschneiden, jede n falls nichts Gutes. »Ein Franziskaner!« meinte er gerin g schätzig. »Gott hat sie verflucht!«, und alle nickten beifä l lig.
Ich hätte lieber geschwiegen, doch fiel mir siedend heiß ein, daß sie Hamo nicht erwähnt hatten. »Und sonst ni e mand?«
»Firouz«, sagte der dicke Henkersgehilfe, »hat einen Burschen davonlaufen sehen!« Er wies auf den kräftigen Kerl, der abseits hockte und sich grimmig mit Wasser b e goß.
»Leider«, knurrte der Angesprochene. »Er befreite sich aus eigener Kraft und ist entkommen, bevor ich zur Stelle sein konnte – aber seinen Beutel haben wir!«
Wahrend sie alle zufrieden lachten, stellte ich mir die Gnome vor, wie sie oben am Berg lauerten und Lawinen oder Felsschlag auf arme – oder weniger arme – Reise n de niedergehen ließen, um sie dann auszuplündern, wenn nicht gar umzubringen. Als hätten sie meine Gedanken erraten, versicherte mir der Henkersgehilfe mit dem gu t mütigen Bauerngesicht: »Daß du lebst, verdankst du der Fahne!«
»Ach«, sagte ich, weniger entsetzt, als um mehr zu h ö ren.
»Dein Banner zeigt die Farben des Imperator Fredericus, unseres Kaisers!«
Auf Anordnung des Dorfältesten, den ich noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, wurde ich im Haus des Xaver untergebracht, und zwar unten im gemauerten Sockelg e schoß bei den Ziegen. Ich war so erschöpft, daß die Mä n ner mich mehr hintrugen als -geleiteten. Ich nahm auch meine Gastgeber nicht mehr wahr, sondern fiel hi n ten im Futterverschlag ins würzig duftende Heu und sofort in ti e fen Schlaf.
Die Sonne stand schon hoch, und die Ziegen waren fort, als ich erwachte. Tage mochten vergangen sein. Ich kroch aus den getrockneten Blumen und Gräsern und fand einen aus dem Stein plätschernden Quell, dessen köstliches Wa s ser in einer Rinne die Mauer des Stalls entlanglief. Das Haus war an den abfallenden Fels gesetzt; der schräg an s teigende Mittelgang durch den Stall mündete neben me i nem Verschlag in eine Steintreppe, die ins Obergeschoß führte. Ich hörte oben Schritte, traute mich aber nicht h i nauf, obgleich mir der Magen knur r te.
Dann entdeckte ich, daß auch aus dem Heu eine Leiter nach oben führte, zu einer Bodenklappe, eingelassen zw i schen den Holzbohlen. Vor allem konnte man von ihr aus die geräucherten Fleischstücke erreichen, die von den D e ckenbalken herunterhingen, und die hohen Regale, auf d e nen dicke, runde Käselaibe ruhten. Erst jetzt nahm ich i h ren säuerlich-dumpfen Geruch wahr, und mein leeres G e därm begann sich zu verknoten, während mir der Speichel im Munde zusammenlief.
Ich biß die Zähne aufeinander und rannte aus dem Haus. Davor saß Xaver, mein Gastgeber. Ein freundlicher Mann mit einem
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