Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Luft hinaustragen, um dann unter anfeuerndem G e schrei oder schadenfrohem Gelächter zu Boden, in den Schnee zu stürzen, mal die Nase voraus, mal das stramme Hinterteil. Keine sauste so geschwinde, wendete so behe n de, sprang so hoch und weit, ohne zu stürzen, wie Rüesc h Savoign. Wie auch immer sie es tollkühn anstellte, si e l a n dete geschickt auf ihren Schuhen, als seien diese ang e wachsener Teil ihres jungen Körpers.
Begeistert klatschte ich in die Hände, und die Mädchen sahen zu mir herüber. Statt sich über meinen Beifall zu freuen, rotteten sie sich kichernd zusammen, bückten sich und formten Kugeln aus dem Schnee. Ehe ich es mich ve r sah, stürmte die gesamte Phalanx den Hügel hinab zw i schen die verschreckten Ziegen und deckte mich mit einem Hagel von Schneebällen ein, die härter in meinem Gesicht zerplatzten, als ich das für möglich gehalten ha t te. So floh ich wieder in den Wald, hinter mir das Hoh n gelächter der Bergamazonen.
Ich kämpfte mich zurück, immer in der Angst, ich kön n te nochmals auf die Galgenbäume stoßen. Erschöpft e r reichte ich den Trampelpfad zum Kirchlein des heiligen Murezzan, des ersten, bei weitem nicht letzten Märtyrers des Tales. Ich war noch keine zwei Schritt gegangen, als sich ein Pfeil mit hartem Schlag in die Rinde des Lärche n stammes bohrte, direkt neben mir, in Brusthöhe. Ich blieb wie angewurzelt stehen, das Herz klopfte mir bis zum Ha l se. Dann trat, gut fünfzig Schritt vor mir, Firouz aus dem Schatten eines Baumes, ein ausblutendes Reh über der Schulter.
»Ich hielt dich für einen äsenden Bock!« rief er ohne jegliche Entschuldigung im Ton.
»Wohl eher für einen Esel!« Ich mochte ihm für seine Flegelei nichts schuldig bleiben. Ich griff den Pfeil und zog ihn mit einem Ruck aus dem Baumstamm, um ihn dann genüßlich überm Knie zu zerbrechen.
Neben Firouz tauchte der dicke Henkersgehilfe auf, den ich schon aus dem Hammam in unangenehmer Erinn e rung hatte. Er war mit gleich zwei erlegten Tieren bel a den, und über sein gutmütiges Bauerngesicht lief ein blödes Gri e nen.
Da Firouz herausfordernd stehenblieb, setzte ich meinen Weg fort. Als ich ihn passierte, ohne seinem mißtrau i schen Blick au sz uweichen, knurrte er: »Wer äst, wo er nichts zu suchen hat, dem kann leicht etwas zustoßen!«
»Sicher, Firouz«, entgegnete ich ihm, ohne meinen Schritt anzuhalten, »besonders, wenn er auf Schützen trifft, die erst schießen und dann nachsehen!«
»Hüte deine Zunge!« schnaubte er.
»Tu dir etwas Eis auf die Stirn«, warf ich ihm über die Schulter zu, »davon wirst du zwar nicht klüger, aber es schafft Linderung!« Ich dachte, jetzt springt er mich von hinten an oder jagt mir einen Pfeil zwischen die Schulte r blätter, doch Firouz rührte sich nicht von der Stelle, und ich setzte meinen Weg fort.
Vor dem Haus erwartete mich Xaver mit einem besor g ten Lächeln. »Die alten Weiber des Dorfes sind ganz ve r zückt nach dir, William. Du habest gepredigt wie der Engel mit dem Flammenschwert an der Pforte des Par a dieses! Die wollen dich jetzt als Priester!«
»Ich hab ’ zwar Theologie studiert, mein Herr«, sagte ich sanft, doch bestimmt, »aber nicht, um hier zwischen ve r schneiten Wäldern und erfrorenen Seelen als Verkünder des Evangeliums zu enden! Da bin ich lieber ein geleh r ter Kriegsmann, dem manchmal die Galle überläuft.«
»Du mußt nicht so übel von uns Saratz denken, Wi l liam«, suchte mich mein Gastgeber zu überzeugen. »Wenn der Föhn den Schnee vertreibt und das Eis schmilzt, dann blühen hier die schönsten Blumen, und auch unsere He r zen tauen auf!«
»Bis zum nächsten Winter!« spottete ich, doch Xaver ließ sich nicht beirren.
»Kein Winter ist wie der andere, der Kaiser wird über seine Feinde siegen, und jeder durchreisende Franzisk a ner wird wieder die Gastfreundschaft der Saratz zu schmecken bekommen, wie früher!«
»Mit gut abgehangenem Schinken aus der Räuche r kammer, die einst das Haus Gottes war, in Betten aus dem Holz der Ta nn en, die seine Brüder trugen, deren Federn und Linnen mit ihrem Blutgeld bezahlt wurden ? «
»Darüber wird auch Moos wachsen, William, und du wirst gern hier bei uns bleiben!« Ich schüttelte den Kopf, doch er hielt mich zurück. »Du verstehst unsere Sprache, du kannst predigen, du könntest eine angesehene Stellung einnehmen. Jemanden wie dich als Botschafter zur Welt, die uns umgibt, von der wir uns abgeschlossen haben – die Saratz
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