Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
bereitete ihm Übelkeit. Seine Narben waren inzw i schen weitgehend verheilt, die Schmerzen vergessen, doch dieser Hausarrest kam ihm als die perfideste Strafverschä r fung an, die sich der böse Geist – er gab sich nicht die Bl ö ße, Wände und Decken nach seinem Ve r steck abzusuchen – für ihn, nur um ihn zu quälen, hatte einfallen lassen. Wie ein herrenloser Hund des Streunens leid, zog er sich in se i ne Kammer zurück, um sich die Wunden seiner arg verlet z ten Eitelkeit zu lecken.
»Nun«, höhnte die Stimme, »hat der Herr sein Mütchen gekühlt?« Vitus schaute nicht auf von seinem Lager. »Nach erfolgter Zurichtung deines neuen Lawinenhu n des«, fuhr die Stimme fort, »zieht es dich wohl nach Norden? Möc h test du diese Saratzbande in den Alpen ausräuchern? Keine schlechte Idee. ’ Auch wenn ’ s der Kurie auf ein paar Min o riten mehr oder weniger nicht ankommt – es ist das Geld der Kirche, das seinen B e stimmungszweck nicht erreicht, wenn nicht gar die T a schen des Staufers füllt!«
Vitus ahnte den Köder, doch er konnte es sich nicht ve r kneifen, zuzupacken. »Ich kenne Euch, Eminenz«, knur r te er. »Ihr wollt sicher gehen, daß dort die Gesuchten nicht etwa doch Unterschlupf gefunden haben?« Vitus wußte, daß ihn den Kardinal auf die Probe stellte, aber er mochte von der Provokation des Mächtigen nicht lassen. »In Wahrheit wollt Ihr mich nur dorthin abschieben.«
»Nutzlos, Vitus, bist du auch hier. Doch zum Unte r schied zu allen Landen, die du durchqueren müßtest, zu allen Orten, wohin du deine Haufen setzen, allen Bäumen, die du anpinkeln würdest, kannst du hier den geringsten Schaden anrichten.«
»Ich flehe Euch nicht an, ich plädiere dafür, die Probe aufs Ex-empel mit Eurem Hund nicht an den Waden di e ser Saratz abzuhalten, sondern ihn im Süden die Gräfin von Otranto verbellen zu lassen. Vielleicht sind die Ki n der ja nie abgereist. Vielleicht habe ich mich täuschen lassen, habe geträumt? Gebt mir eine Flotte, und ich –«
»Ein törichtes Plädoyer. Dein Hund sollte sich einen besseren Anwalt nehmen. So machst du es jedem Quästor leicht: Du bleibst an der Leine!«
Damit war das Verhör beendet: ›Gewahrsam in perpetuo wegen dauernder Unzurechnungsfähigkeit‹. Es hatte ke i nen Sinn, wütend über die eigene Ohnmacht zu sein. Er mußte oboedientia lernen, bis sie ihm in Fleisch und Blut überg e gangen war. Der Gedanke machte ihn krank!
Die Räucherkirche
Punt ’ razena, Frühjahr 1246 (Chr o nik)
Der dumpf röhrende Ton des Alphorns ließ mich im Mo r gengrauen aus dem warmen Heu fahren. Für die S a ratz war es die Erinnerung an das Morgengebet, für mich die Ma h nung zur Frühmette.
Den ganzen Winter lang hatte ich mich feige davor g e drückt, die Kirche und meinen darin gefangenen Mitbr u der aufzusuchen. Eine Bemerkung Xavers am gestrigen Abend hatte mein Gewissen aufgescheucht. Über die noch vor sich hin dösenden Bergziegen hinweg tappte ich zum Quell, weckte mich mit Schuhen seines Eiswassers und trat, noch im Halbdunkel, vor das Haus.
Als die Kirche oben am Hang vor mir lag, sah ich, wie eine Gruppe der jüngeren Saratz, wie immer angeführt von Firouz, den Minoriten hinauszerrte und ihn, die Hä n de mit einem Strick gebunden, mit sich ins Tal führte.
Ich war schnell unter die Deckung der letzten Häuser g e treten, weniger aus Furcht, von ihnen entdeckt zu we r den, als aus Scham, meinem Bruder in seiner schweren Stunde nicht beizustehen. Für ihn mit halblauter Stimme betend, setzte ich meinen Aufstieg fort, als sie die Punt durc h schritten hatten und gleich danach nicht den Weg durch den Wald nahmen, den ich kannte, sondern scharf nach links abbogen.
Wie schon lange nicht mehr fühlte ich mich an diesem unheiligen Ort gefordert, das Wort des Heilands zu pred i gen. Ich betrat mit dem Mut eines Missionars den le e ren Kirchenraum, den blauer, beizender Rauch erfüllte. Wo sonst Altar und Kruzifix die Gegenwart Gottes b e zeugten, brannten in hineingemauerten for-ni schwelende Feuer und räucherten das über ihnen in der Apsis hä n gende Fleisch.
Es hätte mich nicht sonderlich verwundert, dort auch den geschundenen Körper des Bruders am Haken zu sehen, wenn er nicht vor meinen Augen diese stinkende Vorka m mer ewiger Verdammnis hinter sich gelassen hätte. Mit tränenden Augen suchte ich nach einer letzten Nac h richt von ihm, seinen Namen wenigstens – indes: Schall und Rauch! Die Wände waren vollgeritzt mit Namen und
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