Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
betreten.
Im Speisesaal zog der Kanzler drei Bündel Lederschnüre hervor, deren jede verschiedene Länge aufwies sowie eine Anzahl ungleicher Knoten. Sie sahen aus wie schlecht g e knüpfte billige Peitschen ohne Stiel. Er übergab die Schn ü re dem überraschten Lorenz mit der dringenden Bitte – preces armatae – sie auf seinem Weg nach Rom in Lucera bei dem Kommandanten der Garnison abzugeben. Der L e gat steckte sie widerwillig ein.
»Der Kaiser erwartet Euch in seiner Residenz zu Fo g gia«, wandte sich der Kanzler freundlich dem jungen Emir zu. »Ihr segelt morgen früh!«
Der Tag vor der Hochzeit
Punt ’ razena, Herbst 1246 (Chronik)
Ich döste im Heu; die Ziegen mummelten und furzten im Schlaf. Draußen war es noch dunkel, fahl kündete sich der Tag an.
Plötzlich dröhnten die Hörner vom Turm. ›Feuer?‹ oder ›Feind?‹ war mein erster Gedanke, dann erschollen Sti m men in der Gasse, die zu unserem Haus heraufführte. Mich deuchte »Der Kaiser! Der Kaiser!« zu vernehmen, doch dann tönte Firouz ’ Stimme, wie stets aufgeregt dr o hend: »Wo ist William? Wo steckt der Kerl?«
Oben war, scheint ’ s, Xaver an die Fensterbrüstung g e sprungen. »Wenn du es wagen solltest, Firouz –«, brüllte er hinunter, wütend aufgrund der Störung seines Nach t schlafs, aber vor allem über den abgewiesenen Freier. »Wann willst du ’ s endlich begreifen, du Hammel!«
»Der Kaiser ist im Anmarsch!« verteidigte sich Firouz. »Auf Befehl von Zaroth, unserem Ältesten«, wies er X a ver zurecht, »sollen wir William im Verwahr nehmen, solange Seine Majestät in unserer Gemarkung weilt!«
»William ist doch kein gedungener Meuchelmörder!« empörte sich Xaver an meiner Statt, doch auch dieses A r gument verfing nicht, weil Firouz es besser wußte.
»Deinem William soll keine Möglichkeit des Kontakts gegeben werden, noch soll man ihn zu Gesicht beko m men!«
Also trat ich vors Haus und hielt meine Hände hin, d a mit man mich fesselte, wozu aber keiner Anstalten traf. Sie berieten, wohin mit mir.
»In die Kirche?«
»Der hohe Besuch könnte dort beten wollen!«
Firouz, der es vermied, mir in die Augen zu schauen, schlug scheinheilig das neue Räucherhaus vor. Gott sei Dank traf gerade Zaroth ein und reichte mir die Hand mit einer Geste, die um Ve r s t änd n i s b at .
»Ich geh ’ in den Wald«, schlug ich vor.
»– und läufst ihnen in die Arme!« verwarf der Älteste das unüberlegte Angebot. »Firouz«, wandte er sich an me i nen Rivalen, »dein Neubau ist doch fast fertig und steht leer.« Ein paar der Burschen begannen zu feixen. »Dort sperren wir William für die paar Stunden ein und du bürgst für seine Abgeschiedenheit – wie für seine Unversehr t heit!«
Sie trieben ’ s wirklich arg mit ihm. Zu meinem Ersta u nen begehrte Firouz auch nicht auf ob der Zumutung, so n dern schluckte die Schmach schweigend. So winkte ich me i ner kleinen Brau t o ben hinter ihrem Fenstergitter und ließ mich in das Steinhaus verbringen, das sich Firouz stolz auf einem Felsen oberhalb der Punt errichtet hatte.
Da es noch keine Türen hatte, stellten sie einen Wächter davor, und ich konnte mich im Innern frei bewegen. Vom Haremszimmer aus vermochte ich unter mir die Schlucht einzusehen und auf beiden Seiten den Zugang zur übe r dachten Holzbrücke.
Mein Bewacher, ein Neffe des Podestà, der in Deutsc h land gedient hatte und sich in den Dingen des Reiches au s kannte, zumal er erst kürzlich zu den Saratz zurüc k gekehrt war, erklärte mir willig, was sich unter meinen Augen a b spielte.
Als erste kamen leichte Reiter vom Paß her durchs Dorf gesprengt; sie trugen keine Wimpel und waren wohl Sp ä her. Sie preschten bis vor die Punt, riefen die männl i chen Saratz zusammen und teilten sie in zwei Gruppen. Die eine, unsere Miliz, die Handwerker und Bauern, da r unter auch mein Xaver, mußte den Ortsdurchgang abs i chern und den diesseitigen Rand der Schlucht. Die and e ren, die Jäger und Fänger unter Firouz, wurden hinübe r geschickt, den Wald zu durchstöbern und den Weg zu den Seen und ins Untertal zu bewachen. Es war ein Kommandogerufe und Kommen und Gehen.
Dann erschien die Vorhut des Kaisers. Das waren schon Ritter mit ihren Knappen und Soldaten. Sie bildeten e i nen weiteren Kordon, der in zwei Halbkreisen rechts und links unseres Aufganges zur Brücke postiert wurde und den nun auch kein Saratz mehr betreten durfte. Sie ließen nur den Ortseingang frei. Jetzt ertönten auch
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