Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
sagte ich laut und riß mich aus Zweifeln und Zagen. »Der Herr behüte und beschütze euch und eure Li e be!«
Die beiden standen auf. »Wenn du morgen abend«, sprach mich Firouz an, und weder Bedauern noch Neid lagen in seinen Worten, »deine Braut über die Schwelle trägst, dann denke an uns –«, doch dann versagte ihm die Stimme, der starke Mann war zu ergriffen. Ich drückte schweigend seine Hand. Madulain war es, die den Satz zu Ende führte: »– dann, William, werden wir uns unter dem Himmelszelt betten, auf fremder Erde, aber wir werden zum ersten Mal frei sein – und glücklich!«
»Vergeßt uns nicht!« sagte Firouz, und ich bemerkte Tränen in seinen Augen, als wir aus der Kirche traten und übers abendliche Tal sahen, doch meine Prinzessin fuhr ihm hart dazwischen: »Vergiß uns!« Sie nahm Firouz am Arm und ließ mich stehen.
Ich wandelte wie im Schlafe über den Friedhof, wo n a menlose Holzkreuze, nur mit einem ›O. F. M.‹ geken n zeichnet, auf die Gräber meiner Brüder hinwiesen. Sollte ich dereinst hier zur letzten Ruhe gebettet werden? B e weint von Kindern und Enkelkindern, von meiner kleinen Wi t we? Rüesch-Savoign würde mich sicher überleben.
Der Duft der Küchlein stieg bis hier herauf. Ich eilte ›heim‹ und fand eine beachtliche Menschenmenge vor dem Haus von Xaver und Alva, die mich mit vorwurf s vollen Blicken empfingen und der betrüblichen Nac h richt, daß alle Küchlein schon ihre Abnehmer gefunden hätten. Ich sah die glücklich beschmierten Gesichter der Kinder, die Alten leckten sich die Hände ab und ein paar Burschen meine Braut. Das war wohl Sitte! Ich lächelte ihr zu, l ä chelte auch zu ein paar Scherzworten, die mir zugeworfen wurden und verdrückte mich in meinen Ve r schlag bei den Ziegen.
Mein Kopf summte. Ich fiel auf die Knie und preßte den Kopf tief in das duftende Heu. »Herr, laß deinen Diener wissen, daß du ihn segnest!«
Ich wartete schwer atmend auf ein Zeichen: eine Ziege, die mich zupfte, eine Zunge, die mir rauh über das G e sicht fuhr – der Verlust von Madulain traf mein Bewuß t sein erst jetzt wie ein Hammer. Mir war im Leibe zum u te, als hätt ’ ich alle Küchlein der Welt in mich hineingestopft, gefre s sen, geschleckt. Statt der Überfülle spürte ich eine gewalt i ge Leere, ein schwarzes Loch!
»William!« Xaver klopfte mir besorgt auf die Schulter. »Es ist an der Zeit, zu Zaroth zu gehen.« Er war wie i m mer unbekü mm ert, hatte kein Gefühl für mein Unglück, wie sollte er auch. Er gab mir seinen Augapfel zur Frau. Dra u ßen herrscht eitel Frohsinn, und jetzt gingen wir Männer auch noch saufen! »He da, William, keine Schwäche – morgen geht ’ s erst richtig rund!« Er schlug sich in seiner Vorfreude auf die Schenkel und seinem Eheweibe im Vo r beigehen auf den Hintern. »Morgen wird aufgespielt zum Hochzeitstanz!«
Ich trottete benommen hinter ihm bis zur Halle des P o destà, wo – wie schon gewohnt – die versammelten Mä n ner längst angetrunken waren vom Weine aus der sonnigen Lombardei.
Mein erster Blick eilte zu der Säule, an der immer F i rouz lehnte und mich aus glühenden Augen anstarrte. Sein Platz war leer. Er fehlte mir. Keiner sprach von ihm, noch von meiner Prinzessin, der schönen Madulain. Sicher ha t ten sie sich noch vor Anbruch der Dunkelheit auf den Weg gemacht in den Süden.
Trunkene Stimmen rissen mich aus meinen Grübeleien: Man beglückwünschte den Bräutigam, pries die Braut und trank. Ich prostete allen zu, entschlossen, sie heute an Trunkenheit zu überflügeln. Auch Xaver begoß seine Rolle als Schwiegervater eines so herausragenden Ma n nes wie mich, der lesen und schreiben konnte, ihre Sprache b e herrschte und noch dazu die der Welschen und der Römer, der lateinisch singen und beten konnte, aber auf Saratz pr e digen! Welch ein formidabler Schwiegersohn! Ich soff, was mir gereicht wurde, erwiderte jeden Trinkspruch me i nen Becher leerend, und da ich nichts gege s sen hatte, tat der Wein schon bald seine Wirkung.
Nur Xaver war noch gründlicher als ich. Schon zweimal waren wir aus der Halle gewankt, hatten im gebührenden Abstand von den Mauern des Hauses auf die Gasse g e kotzt und den Harn abgeschlagen und uns geschworen, jetzt nur noch einen Abschiedsschluck zu nehmen und dann zu ve r suchen, nach Hause zu finden. Als wir uns ein drittes Mal, uns gegenseitig stützend und fast anpi s send, auf dem Platz wiederfanden, zwang ich mein Resthirn zu einer List. Ich wies uns
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